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Prädikant Alexander Becker engagiert sich mit vielen weiteren Ehrenamtlichen in Ahrweiler als Fluthelfer

„Für die Menschen da sein“

Borghorst/Ahrweiler

Alexander Becker, Prädikant in der Evangelischen Kirchengemeinde Borghorst-Horstmar sowie Mitglied im Kreissynodalvorstand des Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken, hat nach der Flutkatastrophe im Juli im Auftrag des christlichen Hilfswerks „Samaritan’s Purse“ („Die barmherzigen Samariter“) die ehrenamtlichen Helfer in Ahrweiler koordiniert. Im Interview berichtet Becker von der dortigen Helfertätigkeit und seinen Eindrücken.

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Foto: Samaritan's Purse/privat

Alexander Becker, Prädikant in der Evangelischen Kirchengemeinde Borghorst-Horstmar sowie Mitglied im Kreissynodalvorstand des Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken, hat nach der Flutkatastrophe im Juli im Auftrag des christlichen Hilfswerks „Samaritan’s Purse“ („Die barmherzigen Samariter“) die ehrenamtlichen Helfer in Ahrweiler koordiniert. Im Interview berichtet Becker von der dortigen Helfertätigkeit und seinen Eindrücken.

Wie kam es dazu, dass Sie den Einsatz in Ahrweiler koordiniert haben?

Alexander Becker:: Am Montag, dem 19. Juli, wollte ich morgens eigentlich meinen Urlaub antreten, als mich der Anruf aus der Berliner Zentrale meines Arbeitgebers, des christlichen Hilfswerks Samaritan‘s Purse, erreichte. Wenn ich nicht unterwegs sei, solle ich mich sofort auf den Weg nach Köln in die provisorische Einsatzzentrale für den Fluthilfeeinsatz machen und dort die Koordination übernehmen. Das habe ich dann gemacht und seitdem bin ich im Katastrophengebiet. Mittlerweile haben wir zusammen mit dem Hilfswerk „To-All-Nations“ eine nicht mehr ganz so improvisierte Einsatzzentrale und steuern von dort aus zwischen 200 und 400 ehrenamtliche Helfer täglich.

Können Sie Ihre Eindrücke zusammenfassen?

Becker:: Vorherrschend ist eine unfassbare Verzweiflung der Betroffenen, die vielfach ALLES verloren haben und die allgegenwärtige Trauer derer, die JEMANDEN verloren haben. Innerhalb von Stunden hat die Flutwelle so unglaublich viel zerstört und in den Tagen danach haben die Bewohner der 40000 betroffenen Haushalte teilweise ihr „ganzes Leben“ mit Schlamm überzogen als Sperrmüll an die Straßen gestellt. Mein erster Eindruck war die Überwältigung von dem unvorstellbaren Maß der Zerstörung: ex­trem viel Dreck, Schlamm und Matsch, Müllberge, zerstörte Autos, die hochkant in Vorgärten standen. Apokalyptische Bilder, die man eigentlich nur aus dem Fernsehen kennt.

Welche Aufgaben haben die ehrenamtlichen Helfer in Ahrweiler konkret übernommen?

Becker:: In den ersten zwei Wochen ging es hauptsächlich um grobe Aufräumarbeiten. Keller, Erdgeschosse und teilweise auch erste Etagen der Häuser waren komplett überflutet. Im ersten Schritt musste, wo es noch stand, das Wasser aus den Häusern. Im zweiten Schritt sind die betroffenen Häuser komplett ausgeräumt worden. Im Weiteren ging es dann in Kleinarbeit und mit langen Menschenketten darum, die Häuser zu entschlammen und den Dreck eimerweise herauszutragen. Jetzt, nach drei Wochen, verändert sich der Einsatz der Ehrenamtlichen erneut. Zum Entfernen von zerstörtem Putz, Beton und Estrich braucht es pro Einsatzteam mindestens einen, der sich auskennt und die entsprechenden Maschinen bedienen kann. Erste Renovierungsmaßnahmen werden zusammen mit den Hausbesitzern angegangen.

Haben Sie während Ihres Einsatzes auch Momente der Hoffnung erlebt?

Becker:: Ja, es gibt wirklich bewegende Hoffnungszeichen. Die freiwilligen Helfer bei unserem Hilfswerk sind überwiegend gläubige Christen, also meistens Männer und Frauen im Alter zwischen 20 und 30, die sich als Gruppe aus Gemeinden kennen. Wenn sie das im Gespräch mit den Hausbesitzern erzählen und ihre christliche Motivation für die freiwillige Hilfe deutlich wird, ergeben sich daraus oft bewegende Szenen. Diese Gespräche können von professionellen Seelsorgern, die auch zu unseren Teams gehören, aufgefangen und weitergeführt werden. Es macht für viele den entscheidenden Unterschied, dass es bei unserem Einsatz nicht nur um technische Hilfe geht, sondern das Gespräch, die Menschen und der Glauben auch eine Rolle spielen.

Die Flutkatastrophe ist jetzt ein paar Wochen her. Wie ist die aktuelle Lage in Ahrweiler? Sind Sie noch vor Ort?

Becker:: Ja, ich bin noch vor Ort und auch weiterhin hier in der Region im Einsatz. Gerade jetzt, wo viele der „technisch orientierten“ Hilfswerke ihren Einsatz beenden, ist es uns wichtig, weiterhin hier präsent und für die Menschen da zu sein. Es gibt auch jetzt für die meisten Betroffenen noch keine Perspektive; die wenigsten haben eine Rundum-Sorglos-Versicherung; fast niemand findet kurzfristig die Handwerker, die man brauchen würde. Uns ist wichtig, weiterhin da zu sein, einerseits um praktisch helfen zu können; andererseits, um das niedrigschwellige Seelsorgeangebot, zum Beispiel am Bollerwagen mit Kaffee und Plätzchen, weiter aufrecht erhalten zu können. Das ist etwas, was sehr dankbar angenommen wird in den betroffenen Orten. Perspektivisch versuchen wir in den nächsten Wochen mitzuhelfen, ein ökumenisches Netzwerk von Kirchengemeinden aufzubauen, die eine ähnliche Arbeit geistlich, seelsorglich weiterführen können. Menschen vor Ort können sich gegenseitig helfen, füreinander da sein und tragfähige Kontakte knüpfen.

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