Über das Leben der Heuerlinge
In Freiheit ausgebeutet
Westerkappeln
Fleißig waren sie, zäh und ausgesprochen vielseitig. Dass mussten sie aber auch sein, um zu überleben. Mit vielen Details gab Bernd Robben am Dienstag einen lebendigen Einblick in das Leben der einstigen Heuerleute.
Das Interesse an dem Thema war riesig und kam auch für Erzähl-Cafe Veranstalter Pastor Olaf Maeder und Adelheid Zühlsdorf-Maeder überraschend: Die Bänke im Traktorenmuseum waren bis auf den letzten Platz besetzt, rund siebzig Gäste lauschten gespannt den Ausführungen des Buchautors.
Einen Vorteil hatten die Heuerleute: Sie waren frei. Das war es dann aber auch schon. Sie besaßen kein Land, hatten selten Erspartes, kaum Rechte und waren der Willkür des Bauern ausgeliefert. „Dabei wurden sie nicht selten ausgebeutet“, berichtete Robben.
Für Wohnstätte und die Überlassung von etwas Ackerland zahlte der Heuerling nicht nur eine Pacht, er stand darüber hinaus als Helfer zur Verfügung, insbesondere während der arbeitsintensiven Erntezeit.
Mondscheinbauern wurden die Heuerlinge deshalb auch genannt. Denn erst wenn die Ernte der Grundherren eingebracht war, konnte man sich um die eigenen Felder kümmern. Und das war nicht selten nachts, wenn man keine Missernte aufgrund drohenden Regens riskieren wollte.
Auch sonst lebten die Heuerleute unter widrigen Umständen. Für die Pacht des Hauses, die Erstausstattung oder für den Erwerb einer Kuh ging man erstmal nach Holland – als Gastarbeiter. Dort verdingte man sich wochenlang als Mäher oder machte unter kaum vorstellbaren Mühen Moorflächen urbar.
Der Energiedrink der Heuerlinge, um das durchzuhalten: flüssiges Schweinefett. Mit dem Lohn von einigen Wochen harter Arbeit konnte man dann die Jahrespacht für das Heuerhaus zahlen oder etwas Ausstattung erwerben.
Aber selbst in ihrem Heuerhaus lebte die Familie unter schwierigen Bedingungen,: Nicht selten waren diese sogar mehrfach belegt. In den sogenannten Rauchhäusern gab es keinen Kamin. Man lebte bei offenem Feuer mit den Tieren unter einem Dach. Zwar machte der Rauch Speck und Würste unter der Decke haltbar und hielt auch zuverlässig das Ungeziefer aus Holz und Vorräten fern.
Im selben Raum wurde aber auch geschlafen, meist zu mehreren Leuten in kleinen Wandkojen, während das Eis im Winter nicht nur als Blumen die Fenster zierte, sondern auch auf den dünnen Wänden gefror. Strapazen und Wohnklima machte die Heuerlinge auf Dauer krank.
Die Kinder der Heuerleute mussten in vielerlei Hinsicht sehen, wo sie blieben. Eine Schulausbildung gab es für sie nicht, sie mussten früh auf dem Acker helfen. Und wenn sie nicht gerade Erstgeborene waren, gingen sie später leer aus, mussten im Backhaus oder der Scheune wohnen und konnten bestenfalls unverheiratet auf dem Hof bleiben.
Mancher Heuerling machte aber auch als Hollandgänger sein Glück. Die für die Region bekannten Tödden trieben eifrig Handel mit den Waren in ihrer Kiepe. Die bekanntesten Tödden der Region sind Brenninkmeyers aus Mettingen, aber auch Peek & Cloppenburg begründeten so ihr Unternehmen.
Andere heuerten auf niederländischen Walfangschiffen an oder halfen Baumwolle aus Ostindien zu importieren und kamen auf diesem Weg zu einem kleinen Vermögen – sofern sie das gefährliche Abenteuer auf dem Meer überlebten.
Im 19. Jahrhundert gerieten die Heuerlinge aber zunehmend unter Druck: Hungersnöte durch Kartoffelfäule 1816 und 1846 brachten sie in große Not. Die Baumwolle aus Übersee machte dem heimischen Leintuch zunehmend Konkurrenz. Die Markenteilung entzog ihnen die wichtigste Lebensgrundlage.
Das war im Jahr 1850: Die für alle zugängliche Mark rund um ein Dorf wurde im Zuge der Neuordnung an die ortsansässigen Bauern verkauft. Vielen Heuerlingen blieb keine Wahl und sie wanderten in Scharen aus.
Spätestens mit Einzug landwirtschaftlicher Maschinen und der Industrialisierung kamen die Verbliebenen doch noch zu Geld. Land zu erwerben, blieb aber für die traditionell Besitzlosen weiterhin schwierig: Genauso wie ein Bauer seine Tochter nie mit einem Knecht oder Heuerling verheiratete, verkaufte er diesem auch nicht seinen Grund und Boden.
Von dieser leidvollen Erfahrung konnten einige Zuhörer im Saal noch selbst berichten. Für manchen führte beispielsweise erst die Bergbausiedlung auf dem Hollenbergs Hügel ins Eigenheim, sofern denn der Heuerling bereits unter Tage arbeitete.
Andere fanden auf Kirchengrund ihre Heimat. Anfang der 1960er Jahren waren die meisten Heuerhäuser in Nordwestdeutschland verlassen. Neue Besitzer kamen und renovierten die einfachen Häuser – häufig machten sie wahrer Schmuckstücke daraus.
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