Stolpersteine erinnern an Zwangsarbeiter
Den Opfern ihre Würde zurückgeben
Ahlen
Im Mittelpunkt der diesjährigen Verlegung von 13 weiteren Stolpersteinen stand am Dienstag das Schicksal von Frauen und Männern, die während des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit nach Ahlen verschleppt worden waren. Ganz überwiegend kamen diese aus Polen und der UdSSR.
Als glückliche Fügung stellte es sich am Dienstagvormittag heraus, dass die 13. Verlegerunde von Stolpersteinen vor der Lohnhalle der früheren Zeche Westfalen starten sollte. Schneeregen und eisige Temperaturen ließen es nicht zu, dass Beiträge von Schülerinnen und Schülern sowie die Begrüßung durch Bürgermeister Dr. Alexander Berger im Freien stattfanden. Kulturfachbereichsleiter Christoph Wessels dankte dem Leiter des Stadtteilbüros, Hermann Huerkamp, dass dieser kurzerhand die Lohnhalle für die Veranstaltung öffnete. Die Konzentration der Besucherinnen und Besucher war so ungeteilt auf die ergreifenden Vorträge gerichtet, die vier Schülergruppen vorbereitet hatten.
„Fremdarbeiter“ auch aus Holland
Im Mittelpunkt der diesjährigen Verlegung von 13 Steinen stand das Schicksal von Frauen und Männern, die während des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit nach Ahlen verschleppt worden waren. Ganz überwiegend kamen diese aus Polen und der damaligen Sowjetunion. Wie Recherchen der Schülergruppe von der Fritz-Winter-Gesamtschule zeigten, stammten etwa zehn Prozent aller im Bereich des heutigen Kreises Warendorf eingesetzten „Fremdarbeiter“ aus den Niederlanden, was heute weitgehend vergessen ist.
Nach den noch vorhandenen Dokumenten aus jener Zeit waren in den Altkreisen Beckum und Warendorf rund 12.000 Menschen aus gegnerischen Kriegsnationen verpflichtet, in heimischen Betrieben, auf der Zeche und in der Landwirtschaft unter teils menschenunwürdigen Bedingungen Zwangsarbeit zu verrichten. In Ahlen waren es allein 7000, die in verschiedenen Lagern untergebracht waren und in vielen Fällen ihr Leben verloren. Auf dem Ostfriedhof erinnert ein Gräberfeld an die verstorbenen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen.
Einsatz in der Metallindustrie und auf der Zeche
Das NS-Regime achtete streng darauf, dass es zwischen Zwangsarbeitenden und Zivilbevölkerung zu keinen Kontakten kam. Verstöße wurden mit drakonischen Strafen geahndet. So trugen Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs St. Michael die Geschichte einer barmherzigen Ahlener Bürgerin vor, die den chronisch unterernährten Zwangsarbeitern Lebensmittel zusteckte, was mit der Verhaftung und Einweisung in das Konzentrationslager Ravensbrück endete. Aus diesem wurde sie gegen Kriegsende als politische Gefangene befreit. Gruppen von Overbergschule und Therese-Münsterteicher-Gesamtschule beleuchteten die Anfänge der Nazidiktatur in Ahlen und lieferten einen Überblick über die Unternehmen der Metallindustrie, in denen vorwiegend Zwangsarbeitende zur Aufrechterhaltung der kriegswichtigen Produktion zum Einsatz gekommen waren.
Bürgermeister Dr. Alexander Berger
Bürgermeister Dr. Alexander Berger betonte die Verantwortung, den Opfern die Würde zurückzugeben, die ihnen die Nazis geraubt und verwehrt haben. „Uns beschämt das Schicksal jener Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in deutschem Namen und in deutscher Schuld ihre Freiheit, Gesundheit und oftmals auch ihr Leben ließen.“ Den weiterführenden Schulen mit ihrer aktiven Erinnerungskultur sei er dankbar, dass sie seit Jahren mit großem Engagement das Unrecht der Vergangenheit beleuchten, um notwendige Lehren für die Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Das Leid vieler Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die nach ihrer Befreiung in die Sowjetunion zurückkehrten, habe dort Fortsetzung gefunden. „Sie galten dort noch lange als Verräter, für viele führte der Weg von einem Arbeitslager in das nächste“, erinnerte Berger.
Als besondere Gäste durfte der Bürgermeister Angela Weßel und Ingeborg Mejauschek begrüßen, deren Vater bzw. Großvater Heinrich te Fries 1944 aus dem Konzentrationslager Mittelbau Dora befreit wurde. Wegen diverser Kleindelikte galt er im Dritten Reich als „Ballastexistenz“ und musste seit 1937 in verschiedenen Lagern sein Leben fristen. Vor seiner letzten Wohnung, die er vor der Inhaftierung an der Kurvenstraße 3 bewohnte, erinnert jetzt ein Stolperstein an den Ahlener. „Der Staat hat nicht gewünscht, dass Personen wie er am öffentlichen Leben teilnahmen“, so Christoph Wessels. Er forderte die Anwesenden auf, gegenüber Unrecht und Willkür immer wachsam zu bleiben. Für die Recherche dankte Wessels Manfred Kehr, der seit 15 Jahren zu Naziopfern aus Ahlen forscht und zahlreiche Schicksale aufklären konnte.
Anstelle des terminlich verhinderten Künstlers Gunter Demnig aus Köln verlegten Dirk Schumacher und Michael Kreft von den Ahlener Umweltbetrieben die Erinnerungssteine, von denen jetzt insgesamt rund 200 Exemplare im Ahlener Straßenpflaster liegen.
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