„Storno“ zur „Sonderinventur“ in der Stadthalle
Die Ampel springt oft auf Rot
Ahlen
Gewohnt schlitzohrig unterhaltsam präsentierten sich die Drei von „Storno“ mit ihrer kabarettistischen „Sonderinventur“. Ungewohnt dabei: eine nicht ausverkaufte Stadthalle.
Ein Programm ganz ohne Corona? Das wollten die drei Herren dem Publikum am Dienstagabend bei ihre ersten „Sonderinventur“ – am Mittwochabend folgte der zweite Streich – nicht zumuten. Nach einer halben Stunde schwenkten sie auf das Megathema ein, das die Menschen trotz diverser Lockerungen immer noch beschäftigt und den einen oder anderen davon abhält, sich wieder in die Stadthalle zu wagen. Geschäftsführer Andreas Bockholt muss vermutlich lange in den Annalen blättern, um nachzusehen, wann eine „Storno“-Vorstellung nicht ausverkauft war.
Wortwörtliches Abarbeiten
Naheliegend, dass sich die drei Musketiere aus Münster erst einmal an der neuen Ampel in Berlin abarbeiteten. Bei Thomas Philipzen war dieses Abarbeiten durchaus wörtlich zu nehmen, denn was der katholische Ostwestfalen, gebürtig aus Bad Driburg, an Akrobatik zeigte, war zirkusreif. Wie ein Derwisch wirbelte er über die Bühne, mal um die Folgen von ungewohntem Cannabisgebrauch zu visualisieren, mal als Parodie auf die AfD-Frontfrau Beatrix von Storch, die er wie eine Störchin über die Bühne staksen ließ. Das Publikum gluckste.
Dass die Performance der Bundesregierung im Ukraine-Krieg mindestens „suboptimal“ ist, um einen Begriff des in Ungnade gefallenen Altkanzlers zu verwenden, konnte auch die drei Münsteraner nicht ungerührt lassen. Die 5000 Bundeswehrhelme könnten durchaus noch eine Ergänzung um die selbe Zahl von Fahrradhelmen vertragen, wie Harald Funke süffisant anmerkte, und Jochen Rüther steuerte die gönnerhafte Bemerkung hinzu, dass das Koblenzer Amt für Beschaffungswesen, das die 100 Milliarden Euro Sondervermögen, die der Finanzminister großzügig zusätzlich für die Bundeswehr springen lassen will, doch in Amt für Beschaffungskriminalität umgetauft werden sollte. Und wem bis dahin noch nicht klar war, was Sondervermögen heißt, half Rüther auf die Sprünge: „Das sind Schulden.“ Um die zu tilgen, sei wohl der Kauf etlicher Steuer-CDs nötig. Und wenn die nicht reichten, empfehle er auch noch eine Steuer-LP.
Dass Kriegsherr Putin im Kreml und sein langer Tisch, an dem er seine Gesprächspartner abfertigt, nicht gut wegkamen, wen wundert‘s? „An der Länge seines Tisches erkennt man. . .“, meinte Funke in Abwandlung einer bekannten Redewendung.
Karl Lauterbach kann sich glücklich schätzen, dass seine Rolle rückwärts bei der am Dienstag angekündigten Abschaffung der Isolationspflicht bei einer Corona-Infektion den „Stornisten“ noch nicht bekannt war, weil er sie erst am späten Abend bei Dauertalker Markus Lanz kundtat und die Abschaffung kassierte. Der Spott wäre dem Gesundheitsminister sicher gewesen.
Auch nach der Pause ulkten sich Philipzen, Funke und Rüther weiter durch die Pandemie, die der Industrie einen florierenden Absatz von Klopapier, Sexspielzeug und Alkoholika beschert habe. Die verbale Rüther‘sche Schlussfolgerung wird hier unterschlagen, weil nicht stubenrein.
Ganz ungeschoren sollte aber das Publikum mit Eigenheim, Carport, SUV und Vorliebe für Kreuzfahrten nicht davonkommen. Ihm den Spiegel vorzuhalten und den überbordenden Wohlstand zu geißeln, der für einen ordentlichen den CO2 -Abdruck sorgt, ließ sich Herr Rüther nicht entgehen. Seinen Appell, das Klima nicht gänzlich vor die Hunde gehen zu lassen, verband er mit einem Wortspiel über den Namen Greta Thunberg, die ja nicht Lassberg heiße.
Zur Höchstform lief das Dreigestirn bei der vom Publikum lautstark geforderten Zugabe auf, die Rüther als Stück klassischer Hochkultur gestaltet wissen wollte. Diesmal sollte es Medea sein, die rachsüchtige Frau Iasons, die sich an ihrem Mann rächt, in dem sie ihre Kinder, König Kreon und dessen Tochter umbringt. Die Besucherinnen und Besucher hielt es nicht mehr auf den Stühlen, sie nahmen das Angebot zum Mitsingen dankbar an.
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