Woche der Brüderlichkeit eröffnet
Lebendige Momente der Erinnerung
Ahlen
200 Stolpersteine erinnern in Ahlen an die Schicksale der von den Nazis verfolgten Menschen, an Jüdinnen und Juden, an Kommunisten, an Zwangsarbeiter. Weitere Stolpersteine kommen hinzu. Bei der Eröffnungsveranstaltung zur Woche der Brüderlichkeit wurde deutlich, dass es sich dabei nicht um Elemente des Straßenbilds handeln darf.
In Deutschland und vielen anderen Ländern gibt es mittlerweile fast 100 000, alleine rund 200 davon in Ahlen: Stolpersteine, die an das Unfassbare der Nazi-Tyrannei erinnern. Diese zunehmend populäre Form der Erinnerung, stand auch am Sonntag bei der Eröffnungsveranstaltung der 31. Woche der Brüderlichkeit des Forums Brüderlichkeit im Fokus. Im interreligiösen Museum im Goldschmiedehaus stellte Manfred Kehr, ehemaliger Mitarbeiter der städtischen Kulturabteilung, sein im April erscheinendes Buch „Ahlen und seine Stolpersteine - Erinnerungskultur in einer westfälischen Industriestadt“ vor, in welchem er detaillierte Rechercheergebnisse zu den Schicksalen vieler in Ahlen Verfolgter präsentiert.
Nur noch Ausstattung der Fußgängerzone?
Doch regen Stolpersteine wirklich noch zum Nachdenken an? Oder sind sie mittlerweile eher zur Ausstattung unserer Fußgängerzone geworden? Diese Fragen warf Bürgermeister Dr. Alexander Berger in seiner Eröffnungsrede auf, und betonte bei seiner Antwort die Wichtigkeit der Stolpersteine für eine lebendige Erinnerungskultur. Diese seien „unvergänglich“ und „wecken unsere Betroffenheit auch außerhalb von Gedenktagen und besonderen Anlässen“.#
Seine Wahrnehmung sei, dass Stolpersteine Passanten immer noch zum Innehalten bringen und damit eine ganz wichtige Funktion erfüllen: „Mehr als 200 Steine sind genauso viele Appelle, zu jeder Zeit und jeder Gelegenheit für Demokratie und Freiheitlichkeit einzustehen“, zeigte sich Alexander Berger überzeugt.
Was die Konsequenz sein kann, wenn eine Gesellschaft dies nicht in ausreichendem Maße tut, führte Manfred Kehr nur zu schmerzlich vor Augen. So schilderte er etwa, wie das NS-Regime seinerzeit die Ahlener Kommunisten verfolgte und sorgte damit für eine mit den Händen zu greifende Betroffenheit unter der Zuhörerschaft: So fand bereits im Mai 1933 vor dem Oberlandesgericht in Hamm ein Massenprozess statt, bei dem 41 Ahlener Kommunisten zu Haftstrafen verurteilt wurden. Diese verbrachten sie im KZ Brauweiler. „Der allergrößte Teil wurde zu Moorsoldaten“, berichtete Manfred Kehr, der die Woche der Brüderlichkeit zu Beginn noch vor dem ersten gesprochenen Wort mit dem berühmten Moorsoldatenlied eröffnet hatte.
Auf entsprechende Fragen von Kreisarchivar Dr. Knut Langewand schilderte Manfred Kehr noch viele weitere interessante Aspekte rund um die Entstehung des bald erscheinenden Buches. Warum das noch nicht fertig ist? „Es sind immer wieder neue Erkenntnisse aufgetaucht“, schilderte Knut Langewand die zugrundeliegenden Prozesse, die noch lange nicht abgeschlossen sind. „Es gibt Namen, zu denen konnte ich die letzte Adresse bis heute nicht herausfinden“, so Manfred Kehr. Insbesondere was die jüdischen Schicksale anbelangt, konnte er auf die umfassenden Erkenntnisse von Dr. Hans-Werner Gummersbach, Ahlens ehemaligem VHS-Leiter, zurückgreifen: „Ich habe geerntet, was er gesät hat.“
Flammender Appell
Mit einem flammenden Appell für eine lebendige Erinnerungskultur schloss VHS-Leiterin Nadine Köttendorf den Auftakt zur Woche der Brüderlichkeit. Alle Menschen in Ahlen seien dazu aufgerufen, weiter dafür zu sorgen, dass die Stolpersteine nicht zum Straßenbild gehören wie Laternen oder Briefkästen. „Es geht nicht um Zahlen, sondern vor allem um ganz viele Einzelschicksale“, betonte sie.
Und an die dürften künftig noch einige Stolpersteine mehr in Ahlen erinnern. 34 weitere Steine können bereits verlegt werden, ließ Manfred Kehr wissen. Alleine 13 weitere der kleinen, mit Metall beschlagenen Quader werden am Dienstag (7. März) um 10 Uhr an der Zeche Westfalen verlegt. Sie sollen an das Schicksal von Zwangsarbeitern erinnern, die von 1939 bis 1945 in Ahlener Unternehmen eingesetzt waren und teils unter menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten mussten.
Die Woche der Brüderlichkeit bietet bis zum 21. März eine breite Palette ganz unterschiedlicher Veranstaltungsformate – von Lesungen über Filmvorführungen bis hin zu Workshops.
Startseite