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Herzinfarkt für ein ganzes Land

Nach Erdbeben in Syrien: Mahmoud Faour bangt ums Aleppo-Seifen-Projekt

Everswinkel

In seinem Gesicht sprießt inzwischen ein üppiger Vollbart. Nicht etwa, weil es Mode ist oder weil er sein männliches Aussehen unterstreichen will. In Syrien lassen Männer ihre Bärte wachsen, wenn sie trauern – so wie Mahmoud Faour.

Der gebürtige Syrer Mahmoud Faour aus Everswinkel zeigt auf seinem Notebook Bilder von der zerstörten Seifen-Produktionsstätte in Aleppo. Von deren Zukunft hängt auch die Zukunft von fast 30 syrischen Familien ab. Foto: Klaus Meyer

Das große Erdbeben hat Teile Syriens und vor allem die Stadt Aleppo in eine große Trümmerlandschaft verwandelt. Getroffen hat es auch die Familienangehörigen des Everswinkelers, und getroffen hat es die Seifen-Produktionsstätte, die bislang das karge Leben von fast 30 Familien in Aleppo sicherte. Die Bilder der Zerstörung, von Tod und Leid gingen um die Welt. Und die Welt blickt auf die Erdbebenregion.

Vor allem auf die Türkei, weniger auf das ohnehin schon durch den jahrelangen Krieg gebeutelte Syrien. „Das ist wirklich eine große Katastrophe, mehrfach schlimmer als der Krieg“, ist Mahmoud Faour schockiert. Jetzt sei die ganze Bürgerschaft betroffen, viele Häuser seien eingestürzt. Auch das Haus seines Bruders und sein Elternhaus hat es getroffen, es ist nur noch eine Ruine. Getötet wurde zum Glück niemand von seiner Familie, aber verletzt. Mutter, Bruder, Schwester, Neffe, Cousine sowie Verwandte und Freunde leben noch in Aleppo, zählt Faour auf, der 2015 vor den Schrecken des Krieges floh und in Everswinkel mit seiner Familie eine neue Heimat, einen neuen Beruf, ein neues Leben fand.

Mahmoud Faour

Erdbeben für Syrien ein „Herzinfarkt“

Vor dem Krieg sei Syrien „fit“ gewesen im Hinblick auf Infrastruktur, Krankenhäuser, Straßen, Versorgung und mehr. „Nach zwölf Jahren Krieg gibt es kaum noch Krankenhäuser, kaum noch Medikamente. Viele Ärzte haben das Land verlassen. 80 Prozent der Geschäfte in Syrien haben zugemacht.“ Nun die Erdbeben-Katastrophe, die fürs Land ein „Herzinfarkt“ sei. Es hatte eine Stärke von 7,7 auf der Richter-Skala, forderte bislang offiziell 5914 Todesopfer, Helfer schätzen die Zahl auf über 10.000. „Das Erdbeben hat alle Hoffnungen getötet.“

Das schwere Erdbeben hat in der syrischen Stadt Aleppo rund 60 Prozent der Gebäude zerstört oder unbewohnbar gemacht.Dieses Bild die Ruine des Hauses von Mahmoud Faours Bruder. Foto: privat

Die Nacht am 6. Februar hat Faour noch vor Augen. „Meine Frau ist aufgestanden“, ein Anruf ihres Cousins. „Ein Erdbeben, es ist schlimm.“ Dann verzweifelte Anrufversuche bei Familienangehörigen in Aleppo. Irgendwann der Kontakt. Schreckensmeldungen. Viele Menschen unter Trümmern begraben. „Es gab keine Rettungsgeräte, keinen Diesel, keine Helfer. Die Leute haben mit ihren Händen gegraben.“ Die Hilfe aus dem Ausland konzentrierte sich auf die Türkei. „An Syrien hat niemand Interesse“, zeigt sich Faoud ernüchtert. Das Land sei nicht im internationalen Fokus, „es wurde auch weniger darüber berichtet“.

Syrische Gebäude stürzten ein wie Kartenhäuser

Die Bausubstanz war dem Beben nicht gewachsen. „Zwei Drittel der Gebäude in Aleppo wurden illegal gebaut“, sprich nicht den allgemeinen Bauregeln entsprechend, schätzt Faoud. Sie stürzten teilweise ein wie Kartenhäuser. Ein Ingenieur, Angestellter der Stadtverwaltung, „sagte mir, etwa 60 Prozent der Gebäude müssen abgerissen werden“. Versicherungen gibt's nicht. Schlimmer noch: „Man muss selber sein ganzes Haus abreißen und das Material entsorgen“, und zwar zügig. Abriss, Abräumung, Aufbau – das ist nicht zu stemmen. „Diese Katastrophe wird noch größer, nicht kleiner.“

Mahmoud Faour

Das trifft auch auf die Seifen-Produktionsstätte zu, von der der Everswinkeler die berühmte handgemachte Aleppo-Seife bezogen hat und mit deren Verkauf er den Erhalt der dortigen Arbeitsplätze und den Lebensunterhalt der angeschlossenen Familien unterstützt hat. Die Halle ist zum Teil eingestürzt. „Sie muss innerhalb einer Woche abgerissen und abgeräumt werden.“ Ein Ding der Unmöglichkeit. Dazu muss ein Ersatzlager für die produzierte wie auch für die halbfertige, noch zu schneidende und zu stempelnde Seife gefunden werden. Und die März-Gehälter für die Arbeiter stehen auch noch aus.

Sprich der Umsatz durch den Seifen- und Olivenöl-Verkauf muss jetzt irgendwie alle anstehenden Aufgaben decken. „Wenn wir das nicht schaffen, müssen wir aufgeben. Dann gehen 27 Arbeiter nach Hause.“ Es geht um das Schicksal von 27 Familien in Aleppo. Es gibt keine Arbeitslosenversicherung, keine Rentenversicherung, kein Geld vom Staat und auch kein Job-Center. „Die einzige Lösung ist hier.“

Zum großen Teil zerstört wurde auch die Seifen-Produktionsstätte. Das Gebäude muss - wie viele andere Objekte auch - abgerissen werden. Foto: privat

Zukunft der syrischen Familien entscheidet sich in Europa

Auch Mahmoud Faour hat schon mit dem Gedanken gespielt, aufzuhören. Er hat ihn wieder verworfen. „Die Seife betrifft mich emotional.“ Seit drei Jahren sei man damit auf dem Markt, „wir haben uns etabliert“, der Erfolg ist da. „Wir haben einen guten Ruf. Und nun mit einem Mal nach ein paar Sekunden Erdbeben aufhören?“ Nein. „Wir überlegen jetzt, die ganze Ware zu holen. Ob wir das schaffen, weiß ich nicht.“ Der Everswinkeler wird sich mit den sechs anderen Importeuren in Deutschland, Holland, Frankreich, Schweden und Portugal kurzschließen. „Wir werden jetzt alle Verkaufspartner kontaktieren und dann entscheiden.“

Ein Seecontainer wäre das für die Verschiffung. „Hier können wir dann alles hinbekommen mit Hilfe“, spricht Faoud die Lagermöglichkeiten an. Die Verschiffungskosten, die März-Gehälter, die Miete für eine neue Halle (wenn man eine findet, die nicht vor dem Abbruch steht), das Abräumen der bisherigen Halle – „jetzt ist eine schwierige Zeit. Wir fordern von den Arbeitern, viel zu arbeiten, aber gleichzeitig zahlen wir kein Geld“, weiß der Everswinkeler um den riesigen Spagat. „Wir müssen das irgendwie balancieren und parallel machen.“

Für das Seifen- und Olivenöl-Projekt und die damit verbundenen syrischen Familien geht es jetzt um die Zukunft. Und die entscheidet sich vor allem in Europa. Ob es den sieben Importeuren gelingt, einig zu agieren und – mit Hilfe der Handelspartner – den notwendigen Umsatz zu machen, um alle Fragen rund um die Aleppo-Seife lösen zu können. Viele andere Probleme in Aleppo nach dem Erdbeben werden sich nicht schnell lösen lassen.

40 Tage lang lassen syrische Männer ihre Trauerbärte stehen. Die Zeit ist für Mahmoud Faoud noch nicht vorbei.

In der weitgehend zerstörten Seifen-Produktionsstätte lagert noch sehr viel fertige Seife wie auch Rohseife, die noch geschnitten und gestempelt werden muss. Foto: privat
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