Ein Bürgermeister, zwei Gastredner und 22 Sänger
Neustart für den Neujahrs-Empfang
Everswinkel
Lange nicht gesehen. Stimmt. Drei Jahre. So manche Hand dürfte Bürgermeister Sebastian Seidel zuletzt im Januar 2020 geschüttelt haben, als er letztmalig vor der Corona-Zwangspause die Bürgerschaft zum Neujahrs-Empfang im Rathaus begrüßte. Nun also das Wiedersehen bei Sekt und Saft im gut gefüllten Ratssaal am späten Sonntagnachmittag. Dass auf der Beamer-Leinwand mitten im Schriftzug „Herzlich willkommen zum Neujahrs-Empfang 2023“ irgendwann die IT-Meldung erschien, „Ein Neustart ist notwendig, um wichtige Systemupdates einzuspielen“, muss ein Zeichen von höherer Stelle gewesen sein.
Mitunter geraten die Neujahrs-Empfänge zu einer durchaus emotionalen Angelegenheit, wenn die Gastredner Thema und Ton treffen. Dieser Empfang war mal wieder so einer, denn zu der analytischen Rückschau auf 2022 und dem aufmunternden Ausblick des Bürgermeisters auf 2023 gesellten sich ein Pfarrer, der in kurzer Zeit viel zu sagen hatte, ferner eine Frau, die mit ihrem kleinen Sohn vor sieben Jahren als Flüchtling nach Everswinkel kam und mit der Schilderung ihres Weges bis heute die Zuhörer berührte, sowie ein Chor, der seinen allerletzten öffentlichen Auftritt hatte. Und die Heimatpreise wurden auch noch verliehen.
„Sie haben sich sicher viel zu erzählen“, bremste Seidel die lebhaften Tisch- und Gruppengespräche, um Bürger und Ehrengäste zu begrüßen und „mit etwas Wehmut“ den MGV letztmalig als musikalische Gäste anzukündigen. Die 22 Sänger und ihr musikalischer Leiter Heiko Kraft bewiesen mit dem „Toten-Hosen“-Lied „Altes Fieber“, dem DSDS-Hit „We have a dream“ und dem Abschied „Ade´Ade´“ noch einmal ihre Klasse.
Der Abschied „tut schon in der Seele weh“, gestand Hubert Görges als Moderator. „Nach 100 Jahren müssen wir leider aus vielen Gründen sagen: Tschüss.“ Das Jahreskonzert habe noch einmal „sehr viel Freude bereitet“, mit dem Projektchor unter neuem Namen und mit neuem Chorleiter gehe es auf anderer Spur weiter.
Der Bürgermeister blickte natürlich auf die Corona-Zeiten mit Lockdown, einem zum Stillstand kommenden gesellschaftlichen Leben, mit gesundheitlichen und wirtschaftlichen Sorgen sowie Engpässen bei Schutzmasken und Desinfektionsmitteln und einem zunächst noch fehlenden Impfstoff zurück. „Plötzlich war ,Bleiben Sie gesund„ keine Floskel mehr. Uns wurde schlagartig bewusst, dass Gesundheit keine Selbstverständlichkeit ist, sondern wir dankbar dafür sein können und müssen.“
Die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität wurde dann mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 zunichtegemacht. „Als ich morgens aufstand, war die Welt eine andere, denn das Undenkbare war bittere Realität geworden.“ Dieser Überfall brenne sich wie der – glückliche – Fall der Mauer 1989 und der Terror-Anschlag aufs World Trade Center 2001 dauerhaft ins Gedächtnis. Die vom Kanzler bezeichnete Zeitenwende machte sich mit der Ankunft ukrainischer Flüchtlinge auch in der Vitus-Gemeinde bemerkbar. Dazu kamen explodierende Energiepreise, Preissprünge bei Waren und Gütern. „Und das alles mit einer Wucht, die vielen Sorgenfalten ins Gesicht treibt.“ Die Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung „arbeiten nunmehr seit Mitte März 2020 im ,Dauerkrisenmodus'“.
Seidel zeigte sich stolz auf „diese motivierte Mannschaft“ und auf alle anderen „Aktivposten in unserer Gemeinde“, die die Geschicke der Gemeinde mitgestalteten. Dabei hob er die Feuerwehr hervor, die schon in der Neujahrs-Nacht ihren ersten Einsatz hatte und Schlimmes verhindert habe. Überhaupt kein Verständnis zeigte der Bürgermeister für die Krawalle der Silvesternacht vor allem in Berlin mit Angriffen auf Feuerwehr und Polizei. „Was geht in solchen Idioten vor? Da fehlen mir die Worte.“ Seidel listete bei seinem Ausblick etliche Arbeitsfelder für 2023 auf und würdigte die Geschlossenheit des Gemeinderates „bei den großen Themen“ im vergangenen Jahr. „Genau diesen konstruktiven Diskurs brauchen wir auch in Zukunft.“ Das sei insbesondere in schwierigen Zeiten wichtig, „um die Ränder nicht zu stärken“.