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Renaturierung: Neues Leben für Hessel und Speckengraben

Bagger modellieren Flussläufe neu

Sassenberg

Bis vor wenigen Tagen ist die Hessel noch eingezwängt zwischen sorgfältig gemähten Ufern träge dahergeflossen. Inzwischen hat Tobias Pries ihr schon eine neue, zusätzliche Schleife vorbereitet. Der Fluss kann sich bewegen, Sand und Sediment hier abtragen, dort wieder ablagern.

Von Ulrike von Brevern

Zur Revitalisierung werden die Ufer der Hessel an der Mündung des Speckengrabens aufgerissen (oben). Der Bauplan (Bild rechts) zeigt den Umfang der Maßnahme: Speckengraben (oben) und Hessel (unten) erhalten dabei eine gemeinsame Überschwemmungszone. Foto: Ulrike von Brevern

Seit zwei Wochen stört Baulärm die Ruhe zwischen Speckengraben und Hessel. Nur wenige dutzend Meter vor der Einmündung des Grabens in Gröblingen reißt Tobias Pries mit seinem Bagger Uferböschung und Sandboden auf. Totholz ist am Ufer der Hessel gesammelt, das vor noch nicht all zu langer Zeit hier auf der kleinen Halbinsel zwischen Graben und Fluss als Baum gewachsen ist.

Pries und seine Kollegen, die mit ihren großen Schleppern Hänger um Hänger Sand abtransportieren, sind im Auftrag des Sassenberger Wasser- und Bodenverbandes unterwegs. Der kümmert sich um die Unterhaltung der heimischen Gewässer und muss gemäß Wasserrahmenrichtlinie in Zukunft wegen der starken Belastung deren Qualität verbessern. Auf einigen hundert Metern entlang von Hessel und Speckengraben hat sich durch den bereitwilligen Flächentausch eines Landwirts jetzt die Chance zur Renaturierung ergeben.

Renaturierung? Diesen Begriff hört Moritz Hillebrand, Geschäftsführer des Verbandes allerdings gar nicht gern. „Wir sprechen von Revitalisierung“, betont der Ökologe. Komplett zurück zur Natur – dieser Weg funktioniere nicht. Es gehe stattdessen darum, die Gewässer naturnah umzugestalten: „Gewässerbewirtschaftung ist immer ein Kompromiss.“ Ziel sei, die Gewässer wieder zu beleben – sowohl äußerlich wie innerlich.

Bis vor wenigen Tagen ist die Hessel noch eingezwängt zwischen sorgfältig gemähten Ufern träge dahergeflossen. Inzwischen hat Pries ihr schon eine neue, zusätzliche Schleife vorbereitet. Der Fluss kann sich bewegen, Sand und Sediment hier abtragen, dort wieder ablagern. Auch das Totholz, das seinen Platz an von Menschen klug berechneten Stellen im Wasser finden wird, trägt zum lebendigen Wechsel der Fließgeschwindigkeit und -richtung bei.

Dadurch entsteht für viele Organismen die Möglichkeit, wieder heimisch zu werden: Libellen etwa, deren Larven gemeinsam mit Muscheln und anderem Getier Fischen Nahrung geben. „Wir schaffen die Wohnung für die Tiere“, nennt Hillebrand das. Zurückkommen müssen sie selber. Bis die Leitart, die Bachforelle das schafft, werde allerdings noch sehr viel Zeit vergehen. „Revitalisierung geht nicht von heute auf morgen. Wir sprechen von Zeiträumen bis zu 150 Jahren.“

Unmittelbar vor der Mündung macht der Speckengraben schon ganz von allein vor, wie ein gewundener Verlauf aussehen kann. Weiter oben allerdings kann er die Befreiung noch gut gebrauchen. Die Ufer werden für die Revitalisierung so aufgeweitet und modelliert, dass sie bei Regen zusätzlich Wasser aufnehmen können. Etwas oberhalb der Mündung schaffen die Bagger eine zweite Verbindungszone, die zeitweise überflutet werden kann. Kleinen Tümpel werden dadurch bei Hochwasser an das Gewässersystem angebunden. Solche Flächen seien besonders wertvoll, erläutert der Ökologe. Die verbleibenden Ufer werden nicht mehr gemäht – sie haben schlicht kein maschinengerechtes Profil mehr, erläutert Hillebrand.

Angesichts der gut 12 Kilometer, die der Speckengraben zwischen Sassenberg und Füchtorf lang ist, wirken die 420 Meter, die durch die Maßnahme revitalisiert werden, auf den ersten Blick wenig. Konkrete weitere Maßnahmen sind noch nicht geplant, gibt der Verbands-Geschäftsführer zu. Das liegt allerdings nicht an mangelndem Willen: „Das Problem sind immer die Flächen. Wir sind an die Flurstücke gebunden, die uns zur Verfügung stehen.“ Die 39 Kilometer lange Hessel ist schon umfangreicher aufgewertet. Durch vier Renaturierungsmaßnahmen in Milte ist sie nun inklusive der 600 Meter langen aktuellen Maßnahme von Gröblingen bis zur Mündung in die Ems „organismendurchgängig“, nennt Hillebrand das Fachwort.

450 000 Euro kostet der naturnahe Ausbau an der Speckengrabenmündung. Finanziert wird er überwiegend vom Land. Die Stadt Sassenberg ist mit 20 Prozent dabei, die aus den Wasserentnahmegeld stammen, berichtet Hillebrand. Auf die Hochwassersituation in Sassenberg hat die Maßnahme übrigens keinen Einfluss, erklärt der Fachmann. Die Renaturierung dürfe die Situation niemals verschlechtern. Verbessert werde sie allerdings auch kaum. Allenfalls kurz unterhalb der neuen Windungen könnten sich geringe Auswirkungen zeigen.

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