Schulung für Ethikkoordination im Pflegenetzwerk
Wenn Würde und Selbstbestimmung mehr zählen als Bürokratie
Sendenhorst
In der Pflege kommt es nicht selten zu schwierigen Situationen, in denen es gilt, mit allen Beteiligten eine gute Lösung zum Wohl der zu Pflegenden zu finden. Dafür gibt es im Pflegenetzwerk seit einiger Zeit Ethikkoordinatoren.
Bei Frau Sonnenschein ist der Name Programm: eine Mittneunzigerin mit einer fortgeschrittenen Demenz, meist zufrieden und ausgeglichen, stets humorvoll und körperlich aktiv. Nach einem Sturz mit Knochenbruch soll sie sich nicht übernehmen und Ruhepausen gönnen. Den ärztlichen Rat kann sie aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen nicht mehr befolgen und läuft auch ohne Rollator über die Gänge des St.-Josefs-Hauses. Der nächste Sturz mit Krankenhauseinweisung ist quasi programmiert, wenn man sie nicht vom Laufen abhält.
Diese und ähnliche Situationen beschäftigen die Mitarbeitenden im Pflege- und Betreuungsnetzwerk tagtäglich. In den meisten Fällen wird mit allen Beteiligten – Bewohnern, Angehörigen, Betreuenden, Mitarbeitenden, Hausärztin – eine gute Lösung gefunden. „Manchmal aber stecken wir in einem Dilemma, und eine für alle tragbare Vorgehensweise liegt nicht unmittelbar auf der Hand. Für diese schwierigen Situationen haben wir in unseren Einrichtungen im Jahr 2009 die moderierten ethischen Fallbesprechungen eingeführt“, erläutert Netzwerkkoordinator Markus Giesbers, der selbst seit vielen Jahren Ethikkoordinator ist.
Moderierte ethische Fallbesprechungen
Nach intensiver Fortbildung zu ethischen Fragestellungen wurde für die damals drei Einrichtungen in Sendenhorst, Albersloh und Everswinkel jeweils eine Ethikkoordination ernannt, die die Fallgespräche organisieren, moderieren und dokumentieren. Damit in den mittlerweile vier Einrichtungen des Netzwerks jeweils zwei Ethikkoordinatorinnen und –koordinatoren pro Haus zur Verfügung stehen, wurde für 2022/23 eine neue Schulung aufgelegt, in der sich die drei bisherigen Ethikkoordinatoren zusammen mit fünf Neulingen in das Thema einarbeiten.
In jeder Einrichtung sind nach Ende des Kurses zwei Personen in der Lage, diese wichtigen Gespräche zu moderieren. „Wir wollen mit diesem Instrument willkürliche Entscheidungen einzelner Personen vermeiden, unsere Vorgehensweise argumentativ stützen und für alle tragbar machen. Letztlich gibt es den Mitarbeitenden Sicherheit, wenn ein Fall aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und gemeinsam eine Lösung gefunden wird“, so Giesbers.
Markus Giesbers, Netzwerkkoordinator
Durch die seit einigen Jahren von Gertrud Schoppengerd im Netzwerk angebotene „Gesundheitliche Versorgungsplanung am Lebensende“ spielen Fragen rund um das Lebensende in den ethischen Fallgesprächen immer weniger eine Rolle. Allerdings stehen die Mitarbeitenden bei Themen wie freiheitsentziehenden Maßnahmen, Nahrungsverweigerung, Umgang mit herausforderndem Verhalten bis zu sexueller Übergriffigkeit oder Suchtverhalten oft vor schwierigen Entscheidungen, die gemeinsam mit Bewohnern, Bevollmächtigten und Ärzteschaft berufsübergreifend in den Blick genommen werden.
Die Vorbereitung auf die verantwortungsvolle Tätigkeit für die angehenden Ethikkoordinatoren erfolgte in vier halbtägigen Workshops mit Theorie aus dem Bereich Ethik sowie vielen praktischen Übungen und der Simulation von Fallgesprächen. Markus Giesbers: „Insgesamt erleben wir im Netzwerk durch diese Vorgehensweise eine höhere Lebenszufriedenheit in der Bewohnerschaft und eine größere Sicherheit bei allen Mitarbeitenden. Der Fokus auf die Umsetzung von Werten wie Selbstbestimmung und Menschenwürde unterscheidet uns von anderen Einrichtungen, die den Schwerpunkt allein auf die Umsetzung der Prüfrichtlinien des Medizinischen Dienstes legen.“
Startseite