Klaus und Jana Meinhold übersetzen für Gehörlose
„Gebärden sind meine Muttersprache“
Telgte
Es muss irgendwann zur Grundschulzeit gewesen sein, als Klaus Meinhold merkte, dass in seinem Elternhaus etwas anders war, als in anderen Familien.
Es muss irgendwann zur Grundschulzeit gewesen sein, als Klaus Meinhold merkte, dass in seinem Elternhaus etwas anders war, als in anderen Familien. Meinhold wuchs mit seinen sieben Geschwistern bei gehörlosen Eltern in Münster auf. „Gebärden waren meine Muttersprache“, sagt Meinold, wenn er sich an seine Kindheit zurückerinnert. Seit Anfang des Jahrtausends ist Klaus Meinhold Mitinhaber von Transignum, einer Firma für Gebärdendolmetschen, Gebärdenschule und die Hilfe für Familien mit gehörlosen Familienmitgliedern. Was auf den ersten Blick logisch scheint, realisierte Klaus Meinold erst auf einem Umweg. „Ein Glücksfall“, wie er heute sagt.
Nach seiner Schulzeit ergriff Meinhold den Beruf des Schreiners. Nach seiner Ausbildung bei den städtischen Bühnen Münster und dem Erwerb des Meisterbriefs arbeitete er rund acht Jahre bei den Caritas-Werkstätten in Steinfurt. In dieser Zeit kam Meinhold abermals mit vielen Gehörlosen in Kontakt, trotzdem war er sich seiner Sache nicht ganz sicher. „Eine Familie etwa hat viele sogenannte Homesigns, also Gebärden, die es so nur in der Familie gibt“, sagt Meinhold und fährt fort: „Ich wollte einfach mal testen, wie gut ich Gebärdensprache wirklich kann.“
Also besuchte Meinhold Anfang der 2000er wieder die Abendschule, um sich als Gebärdendolmetscher ausbilden zu lassen. „Zu dieser Zeit war das in Deutschland noch ganz neu. Andere Länder waren da schon viel weiter“, sagt der Experte rückblickend.
Während der Ausbildung lernte Meinhold seine heutige Geschäftspartnerin Kira Knühmann-Stengel kennen. Die beiden gründeten eine Firma. Heute übersetzen Meinhold und seine Partnerin sowie die neun Festangestellten in allen Bereichen Gebärden. Vor Gericht, bei Arztbesuchen, bei Prüfungen oder Bewerbungsgesprächen, auf Elternabenden, Betriebsversammlungen oder bei Maschineneinführungen. „Eigentlich überall“, sagt Meinhold und lächelt, während seine Tochter Jana neben ihm sitzt. Sie ist Auszubildende in der Firma ihres Vaters. „Sie hat großes Talent dafür“, sagt Meinhold, der mit seiner Geschäftspartnerin ein neuartiges Ausbildungskonzept erarbeitet hat. „Wir haben oft festgestellt, dass Hospitanten, die etwa von der Universität zu uns kamen, zwar ein großes theoretisches Wissen hatten, allerdings praktisch noch nicht viel konnten“, sagt Meinhold. Bei seinen mittlerweile drei Auszubildenden sei das anders, von Beginn an sammelten sie praktische Erfahrungen.
„Das Tolle an meinem Beruf ist unter anderem, dass ich jeden Tag etwas dazulerne“, sagt Meinhold und kommt auf die vielen Einsatzgebiete und Menschen zu sprechen, die er tagtäglich kennenlernt. Es ist ihm anzusehen, dass dies seiner herzlichen Art entgegenkommt. Seine Berufsvorerfahrung mache ihm seine Arbeit dabei zudem in gewissen technischen Bereichen einfacher. Das, sowie seine Vorerfahrung als Kind, seien eindeutig ein Vorteil – einen guten Gebärdendolmetscher mache diese Grundlage jedoch noch längst nicht aus ihm. „Dazu gehört auch schauspielerisches Talent“, stellt Meinhold klar. Neben dem Beherrschen der Gebärden komme es nämlich auf die Mimik an, um beiden Gesprächsseiten den jeweiligen Inhalt richtig zu vermitteln. „Ich muss erkennen, wer da vor mir sitzt und das in meiner Mimik zeitgleich mit den Gebärden verarbeiten.“
Eine große Herausforderung freilich, sprachlich warten noch weitere. Denn Gebärde ist keineswegs gleich Gebärde. „Auch in der Gebärdensprache gibt es Dialekte“, sagt Klaus Meinhold mit einem Schmunzeln. Tochter Jana macht eine Geste nahe ihrer Pulsadern im Arm. „Das heißt Wasser in Berlin. Bei uns aber wird die Gebärde ganz anders gemacht“, stellt sie klar und macht eine Bewegung mit der rechten Hand, die am Mund startet.
Zudem gibt es Gebärden, die nur in einer gewissen Szene bekannt sind. Die großen Städte zum Beispiel haben eigene Gebärden, „Telgte kennt man aber nur hier im Umkreis“, sagt Meinhold und setzt eine flache Hand auf die ausgesteckten Finger der anderen. Bleiben doch einmal Verständigungsprobleme, dann hilft übrigens das sogenannte Fingeralphabet
„Gebärdendolmetschen ist anstrengend, vor allem mental“, sagt Jana Meinhold. „Auf Terminen über einer Stunde reisen wir zu zweit an und wechseln alle 15 bis 20 Minuten den Dolmetscher“, ergänzt ihr Vater. Unauffällige Kleidung sei dabei ratsam. Denn so lenke man die Konzentration der Gehörlosen auf seine Hände.
Einmal im Jahr beteiligt sich Meinholds Firma an einer Theateraufführung für Gehörlose. „Es gibt ja nichts oder, sagen wir mal, sehr wenig für Gehörlose“, wird der ansonsten so heitere Meinhold ernst und legt den Finger in eine Wunde der Gesellschaft.
Genauso schnell hellt sich seine Miene aber auch wieder auf, als er noch einmal auf seine Kindheit zu sprechen kommt. „Wir haben den Umstand, dass meine Eltern gehörlos waren, natürlich auch mal ausgenutzt. Wie Kinder halt so sind. Etwa wenn der Lehrer anrief oder der Nachbar sich beschwerte“, sagt Meinhold. Er schmunzelt, wenn er daran denkt, wie er seinem Vater dann erzählte, dass der Nachbar nur freundliche gegrüßt habe und mal nach dem Rechten fragen wollte.
Problematisch sei es dagegen für die Geschwister zu Beginn ihrer Schulzeit gewesen. Gebärdensprache folgt einer anderen Grammatik, Subjekt, Objekt, Verb ist die Reihenfolge. Füllwörter und Artikel entfallen. „Vor allem in Deutsch hatten wir zu Beginn Probleme, wobei unser Onkel immer stark auf unsere sprachliche Entwicklung geachtet hat“, erinnert sich Meinhold. Dann blinzelt er kurz mit den Augen und lächelt sanft, während er an seine nicht ganz normale, dafür aber so positiv prägende Familie denkt.
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