Zweites Papiertheater-Festival
Tote Weltliteraten treffen sich zum Plausch
Warendorf
Kaum einer weiß, dass Goethe, Schiller und Shakespeare sich im Turnus von 100 Jahren irgendwo im Nirgendwo treffen und sich heimlich die „Wahrheit“ über ihre Werke eingestehen. Und die ist wohl fast noch spannender als die bekannten Versionen.
Die Zuschauer am Wochenende sind jedenfalls am Ende der 60-minütigen Veranstaltung voll des Lobes für den ersten Teil des zweiten Papiertheater-Festivals, das vom Kulturreferat für Westpreußen, Posener Land und Polen um Magdalena Oxfort in Zusammenarbeit mit dem Trio „Andersartig“ um Manfred Kronenberg, Armin Düpmeier und Dieter Lohmann veranstaltet wurde.
Mehr als 30 Literaturfreunde haben am Freitagabend in der kleinen Galerie im Museum Heinrich Friedrichs an der Oststraße Platz genommen, um ein ganz besonderes Spektakel zu erleben. Nämlich ein Papiertheater, eine uralte Form des Theaterspiels, das aktuell wieder zum Leben erweckt wird.
Viele neue Wahrheiten begeistern
Wortakrobat Dieter Lohmann hatte in drei Monaten unter dem Titel „Wahrheit“ die Texte in Versform herausgearbeitet. Seine Idee: Er wollte drei tote weltberühmte Dichterfürsten aufeinandertreffen lassen. Da kommt man natürlich nicht an dem englischen Dramatiker William Shakespeare (1564-1616) vorbei. Auch der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) ist mit dabei, ebenso der Philosoph und Lyriker Friedrich Schiller (1759-1805).
Das illustre Trio möchte einen neuen Anstrich für seine alten Texte. Shakespeare macht den Anfang. Er gibt zu, seine Geschichte von Romeo und Julia hätte sich doch ganz anders zugetragen, als alle glauben. Während Lohmann anfängt, die berühmte Liebesgeschichte in Reimform, so wie es sich geziemt, zu erzählen, ist Manfred Kronenberg für das Visuelle zuständig. Der Warendorfer Künstler hatte zuvor eine Art Minibühne aufgebaut, die mit Licht, Pappfiguren, Zeichnungen und einer Art vorgefertigter Rillen funktioniert. Kronenberg schiebt einige seiner selbst hergestellten Figuren wie mit Nut und Feder auf der Bühne hin und her und bietet ihnen somit Halt.
Shakespeare, Goethe und Schiller erfinden sich neu
In der neuesten Shakespeareschen Version überleben Romeo und Julia, sie bekommen Sohn Don Giovanni und wandern nach Limone aus, um Zitronen zu züchten. Später kommen Äpfel hinzu und ein Herr namens Wilhelm Tell interessiert sich besonders für Letztere. Schlag auf Schlag fallen jetzt hier Schlüsselworte der großen Literaturgeschichte. Am Ende wird das prominenteste Liebespaar der Welt zu Tulpenhändlern. Es züchtet eine orangefarbene Sorte, was später dazu führt, dass das niederländische Königshaus sich der Farbe annimmt, nämlich Oranje. Julia wird zudem als Königin Juliana verehrt. „Wilhelm, das hast du super gemeistert. Wir sind begeistert“, loben die beiden anderen Lyriker Shakespeare, bevor Goethe das Wort ergreift.
Sein Drama „Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand“ ist wohl eines der berühmtesten Werke Goethes. Doch eigentlich, so muss der Dichterfürst nun gestehen, sei das Ritterdrama ganz anders abgelaufen.
Johann Wolfgang von Goethe
„Auch ich habe die Wahrheit verschleiert. Götz starb nicht und verdarb mir so das Dramaende“, bedauert Goethe noch heute und erzählt weiter, der Ritter sei nämlich eigentlich ein Sprachgenie, was ihm damals bei Gericht zum Freispruch verholfen hätte. Erst 40 Jahre nach seinem Prozess habe Götz das Zeitliche gesegnet. Vorher hatte er aber noch allerlei erfunden, wie die Armbrust mit acht Pfeilen, an der ein Apfelhändler aus der Schweiz großes Interesse hegte.
Wilhelm Tell erfand die Toblerone
Der legendäre Wilhelm Tell aus der Feder von Friedrich Schiller hat, was kaum einer weiß, ebenfalls so einiges bewegt. Die beliebte Toblerone ist seine Erfindung, ebenso hatte er die Begriffe Bankgeheimnis und Nummernkonto zugrunde gelegt. Auch gilt er als Erfinder des Schweizer Klappmessers. Außerdem hatte Tell bei einem Treffen mit Romeo und Julia, die ihm einige Zitronenkerne überließen, schließlich den bekannten Orangenapfel gezüchtet. So fügt sich eines zum anderen. Das agierende Trio ergänzt sich perfekt. Während Dieter Lohmann die Texte perfekt und pointiert vorträgt, agiert Manfred Kronenburg an der kleinen Bühne. Armin Düpmeier sorgt derweil für den musikalischen Rahmen.
„Schade schon zu Ende“, bedauern einige Zuschauer nach einer Stunde. Sie sind völlig begeistert und hätten gern noch mehr gehört. Klar, dass die Gäste die wahrhaft gelungene Papiertheater-Vorführung mit stehendem Beifall belohnen.
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