1. www.wn.de
  2. >
  3. Münsterland
  4. >
  5. Warendorf
  6. >
  7. Unterwegs in der Weltgeschichte

  8. >

Angelika und Kamal Saydo

Unterwegs in der Weltgeschichte

Warendorf

Er könnte stundenlang erzählen – und wäre dann wohl immer noch nicht durch mit all den Dingen, die er erlebt hat: Kamal Saydo – Kameramann, Dokumentarfilmer, Weltenbummler und überzeugter Warendorfer.

Christoph Lowinski

In Warendorf heimisch geworden: Angelika und Kamal Saydo fühlen sich hier wohl. Foto: Lowinski

Er könnte stundenlang erzählen – und wäre dann wohl immer noch nicht durch mit all den Dingen, die er erlebt hat: Kamal Saydo – Kameramann, Dokumentarfilmer, Weltenbummler und überzeugter Warendorfer. Auch wenn er mittlerweile 73 Jahre alt ist: Saydo, der kürzlich vom Deutschen Journalistenverband für seine 40-jährige Mitgliedschaft geehrt wurde, ist voller Elan, politisch hochinteressiert. Sein Thema: Kurdistan.

Aus dem kurdischen Teil Syriens nach Warendorf – wie kommt das? In Warendorf sind Kamal Saydo und seine Frau Angelika heimisch geworden, weil der Beruf das mit sich brachte. Sie bekam 1984 einen Job als Cutterin beim WDR in Münster, er arbeitete für den WDR in Bielefeld. „Wir haben uns die Orte dazwischen angeguckt – und fanden Warendorf hübsch.“ Auch wenn der erste Kontakt mit der manchmal rauen Emsstadt-Herzlichkeit nicht dazu angetan war: „Wir landeten in der Tönneburg (heute Villa Serena). Erst war die Wirtin brummelig, weil die Küche schon zu war. Aber dann haben wir ein tolles Schinkenschnittchen bekommen.“ Der Beginn einer engen Freundschaft. Warendorf wurde die neue Heimat der Familie Saydo. Bis heute.

Allerdings mit Unterbrechungen, denn Kamal und Angelika Saydo waren Zeit ihres Lebens eigentlich immer auf Achse – unterwegs in der Weltgeschichte.

Kamal Saydo ist im Norden Syriens geboren. Diese Herkunft hat sein privates und berufliches Leben tief geprägt. Heute lebt er im Ruhestand – offiziell. Denn er beschäftigt sich aktiv und intensiv mit dem Thema seines Lebens: Mit der Lage der Kurden, einem Volk ohne eigenen Staat, verteilt auf das Dreiländereck zwischen Syrien, Irak und Türkei.

Saydo war 20 Jahre alt, da geriet er in die Mühlen der Politik. Er wurde verhaftet, weil er sich für die „Demokratische Partei Kurdistans“ betätigt hatte. „Es gab auch damals schon Verfolgung und Repressalien“, erzählt Saydo. Nach sechs Monaten Gefängnis wurde er zwar entlassen, aber gleichzeitig zogen die Behörden seinen syrischen Pass ein. Der junge Mann war staatenlos

In Syrien sah er keine Chance für sich. Er wollte raus aus dem Land – der Start zu einer Odyssee, die ihn nach Beirut führte. Aus der libanesischen Hauptstadt ging es weiter nach Europa, nach Frankreich. Saydos Ziel: Filme drehen, dokumentieren. Über einen Cousin in Berlin landete Saydo 1961 in Deutschland – immer noch mit einem falschen Pass unterwegs. In der DDR gab es dann ein Angebot: Ein Studienplatz in Ökonomie. „Das war aber nicht mein Thema“, sagt Saydo. Ein Freund, der Kontakt zu Filmleuten hatte, brachte die gesuchte Chance: Ein Stipendium für die Filmhochschule Babelsberg. Nach bestandener Aufnahmeprüfung studierte Kamal Saydo Filmgeschichte und Kameraführung. Er drehte Filme über Vietnam und die Nürnberger Prozesse, war mit der Kamera in Polen unterwegs. Fünf ereignisreiche Jahre in Berlin – wo er 1964 seine Frau Angelika kennenlernte.

Dann begannen die Probleme: Saydo wollte seinen Diplomfilm über die Kurden drehen. Dafür gab es aus politischen Gründen keine Genehmigung. Als Saydo protestierte, kam die klare Ansage – der drohende Unterton war nicht zu überhören: „Denken Sie daran, Sie sind hier unser Gast.“

Allerdings nicht mehr allzu lange. Angelika und Kamal Saydo überlegten, was sie tun könnten. Das Ergebnis: Sie verließ die DDR und ging nach Syrien, wo Kamals Familie lebte. Er reiste über Saloniki und Beirut in den Irak – seine Kameras im Gepäck. Doch der Plan, einen Film über die Lage der Kurden zu drehen, lässt sich wieder nicht verwirklichen.

In einer Hinsicht ändert sich Kamal Saydos Lage jedoch zum Besseren: In Bagdad wird er endlich wieder zum bürokratisch anerkannten Menschen – er bekommt einen (echten) Pass. „Plötzlich war ich Iraker“, sagt Saydo mit einem Lächeln auf den Lippen. „Zum ersten Mal seit Jahren war ich nicht mehr illegal.“

Weil die erhofften Filmprojekte sich nicht realisieren lassen, geht es zurück nach Europa. In Düsseldorf bekommt das Ehepaar Kontakte zum WDR und wird zum ersten Mal über einen längeren Zeitraum sesshaft. Zwölf Jahre lang arbeiten sie für den Kölner Sender. 1984 geht es ins Münsterland. Doch nach fünf Jahren kitzelt wieder das Reisefieber: Es geht nach Afrika, genauer nach Nairobi. Die Jahre auf dem schwarzen Kontinent wirken bis heute nach: Das Wohnzimmer ist mit afrikanischem Kunsthandwerk eingerichtet.

Seit 1994 ist Warendorf wieder Lebensmittelpunkt der Familie, auch wenn Kamal Saydo nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA und Frankreich gedreht hat. Mit Aufmerksamkeit verfolgt er die aktuellen Ereignisse in Syrien – zumal ja auch ein Teil der Familie noch dort lebt. Einige Familienmitglieder sind in die Türkei geflüchtet. „Im Land herrscht das Chaos. Die Äcker werden nicht mehr bewirtschaftet, Schule findet nur noch sporadisch statt“, wissen Angelika und Kamal Saydo. „Es ist eine verlorene Generation, die dort lebt. Jeder muss schauen, wie er überlebt.“ Im September war Kamal Saydo in einem kurdischen Flüchtlingslager in Jordanien und hat dort gedreht: „Die Verhältnisse werden immer schlimmer“, sagt er. Angelika Saydo ist sicher: „Das endet mit der Teilung des Landes. Es wird Jahrzehnte dauern, bis da wieder alles aufgebaut ist.“

Dem Westen wirft sie mangelndes Engagement vor: „Wenn man den Demokraten nicht hilft, machen sich die Islamisten breit.“

Startseite