Roberto Ciulli gastiert mit dem Theater an der Ruhr im Pumpenhaus
Die neuen Toten der Antigone
Münster
In der „Antigone“ von Sophokles geht es um den Unterschied zwischen moralischem und staatlichem Gesetz. Antigones Konflikt mit Kreon entzündet sich, weil sie ihren Bruder, der im Kampf gegen Theben gefallen ist, würdig bestatten will, während Kreon als Herrscher von Theben bestimmt hat, dass der Tote als Strafe vor den Toren der Stadt verfaulen soll. Diesen Konflikt schreibt Thomas Köck in „Antigone. Ein Requiem“ fort. Nur dass es hier nicht um den Bruder geht, sondern um tote Flüchtlinge, die vor der Küste angespült werden.
In der „Antigone“ von Sophokles geht es um den Unterschied zwischen moralischem und staatlichem Gesetz. Antigones Konflikt mit Kreon entzündet sich, weil sie ihren Bruder, der im Kampf gegen Theben gefallen ist, würdig bestatten will, während Kreon als Herrscher von Theben bestimmt hat, dass der Tote als Strafe vor den Toren der Stadt verfaulen soll. Diesen Konflikt schreibt Thomas Köck in „Antigone. Ein Requiem“ fort. Nur dass es hier nicht um den Bruder geht, sondern um tote Flüchtlinge, die vor der Küste angespült werden.
Am Mittwochabend war das Stück als Gastspiel des Mülheimer Theaters an der Ruhr im Pumpenhaus zu sehen. Regisseurin Simone Thoma hat für ihre Inszenierung eine Art Fernsehstudio auf die Bühne gebaut. In diesem Setting tragen Antigone und Kreon ihren Konflikt in Form einer Infotainment-Show aus. Gleichzeitig sind auf einer großen Leinwand Videos von Peter Wedel zu sehen, die abwechselnd Bilder aus armen und reichen Ländern zeigen. Auf der einen Seite verhärmte Menschen, die beim Abbau von Rohstoffen ausgebeutet werden, auf der anderen Wohlstand und technologischer Fortschritt, der durch diese Ausbeutung erst möglich wurde.
Im Fernsehstudio ist das Personal versammelt, das man von Sophokles kennt. Die Argumente sind ebenfalls dieselben, wenn auch an die veränderte Situation angepasst. Fabio Menédez gibt sich als Kreon zurückhaltend, fast sanftmütig, bleibt dabei in der Sache aber unerbittlich. Auch bei Dagmar Geppert als Antigone findet man weder Leidenschaft noch Pathos. Ruhig, aber bestimmt legt sie ihre Argumente dar, die auf eine unterschwellige Weise von den Videos unterstützt werden. Fast wirken die wechselnden und sich überlagernden Bilder wie ein Interpretationsangebot, das der Zuschauer annehmen oder ablehnen kann.
Was er aber nie kann, das ist, sich dem Konflikt zu entziehen. Die Toten sind da. Und wie man letztendlich auch mit ihnen umgehen mag – sie kommen wieder. Das ist die Botschaft, die transportiert wird und die auch Teiresias noch einmal beschwört, als er kurz vor Ende der Aufführung in Erscheinung tritt.
Roberto Ciulli (Chef des Theaters an der Ruhr) spielt den blinden Seher und wirkt dabei wie ein Menetekel: „Wir sind nicht jung, dynamisch und flexibel“, sagt er. Jung, dynamisch und flexibel, das waren die Toten.
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