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Die provinzialrömische Archäologin Dr. Bettina Tremmel zum Stand der Varusschlacht-Forschung

Es bleiben noch viele Fragen offen

Münster/Haltern/Bramsche

Die Debatte um die Varusschlacht bleibt spannend. Mit detaillierten Metalluntersuchungen hat sich 2022 die Annahme verdichtet, dass sich die legendäre Schlacht, bei der Statthalter Varus im Jahre 9. nach Christus mit seinen drei Legionen gegen Arminius und seine Germanenkrieger unterging, bei Kalkriese am Wiehengebirge zugetragen hat. Was die Ergebnisse für die weitere provinzialrömische Forschung auch am Römerlager-Standort Haltern bedeuten, darüber sprachen wir mit der Archäologin Dr. Bettina Tremmel.

Von Johannes Loy

Die Reitermaske ist das Sinnbild des Museums und Parks zur Varusschlacht in Bramsche-Kalkriese. Foto: Jürgen Christ

Bei den Forschungen zur Varusschlacht in Bramsche-Kalkriese im Osnabrücker Land gab es im Jahre 2022 einen spektakulären Durchbruch: Metall-Analysen am Deutschen Bergbaumuseum in Bochum ergaben, dass Fundstücke auf dem Grabungsgelände eindeutig der 19. Legion des Varus zuzuordnen sind. Der Befund stärkt deutlich die These, dass an dieser Stelle wirklich ein Teil der Varusschlacht aus dem Jahre 9. n. Chr. entdeckt wurde. Zu den Funden und zu den Auswirkungen auf aktuelle Forschungsvorhaben in Westfalen befragten wir Dr. Bettina Tremmel. Sie ist provinzialrömische Archäologin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe und zurzeit wieder mit umfangreichen Ausgrabungen in Haltern befasst.

Dr. Bettina Tremmel, Provinzialrömische Archäologin beim Landschaftsvearband Westfalen-Lippe Foto: LWL

Ist mit den Funden in Kalkriese und dem „Metall-Fingerabdruck“ der dort und in Haltern nachgewiesenen 19. Legion nun endgültig Ruhe um die Diskussion des Schlachtorts eingekehrt? Mit anderen Worten: Lohnt es sich jetzt noch, über andere Schlachtenorte zu fantasieren?

Dr. Bettina Tremmel: Das Thema Varusschlacht ist seit jeher mit vielen Emotionen besetzt. In der Diskussion um den Schlachtort wird daher wohl nie Ruhe einkehren. Wir sollten bei unseren Ergebnissen auch nie von einer 100-prozentigen Sicherheit ausgehen, sondern – nach guter wissenschaftlicher Manier – unsere Erkenntnisse immer wieder neu hinterfragen. Mit dem „Metall-Fingerabdruck“ wurde jetzt eine neue Tür geöffnet.

Wie schätzen Sie die Beweiskraft der metallurgischen Untersuchungen und die daraus gezogenen Schlüsse ein?

Ein fast komplett erhaltener römischer Schienenpanzer zählt zu den spektakulärsten Ausgrabungen in Kalkriese. Foto: Wilfried Gerharz

Tremmel: Die metallurgischen Untersuchungen basieren auf naturwissenschaftlichen Daten, die – da vertraue ich den Kollegen – in sich korrekt sind. Es wurde eine wichtige Datenbasis geschaffen, die erste Schlüsse erlaubt, aber sicher keinen endgültigen Beweis liefert. Wir müssen jetzt diesen Weg weitergehen und die geschaffene Datengrundlage erweitern.

Welche Fragen sind denn eigentlich aus Ihrer Sicht noch offen?

Tremmel: Für die römischen Feldzüge in Germanien sind drei „Varuslegionen“ überliefert: die 17., die 18. und die 19. Legion. Aktuell glauben wir, den Fingerabdruck der 19. Legion zu kennen. Doch was ist mit den beiden anderen Truppen? Hier müssen wir ansetzten und gezielt die Forschung vorantreiben.

Mitunter hatte man als journalistischer Beobachter den Eindruck, dass sich Haltern und Kalkriese in einer gewissen Konkurrenzsituation befinden, was die archäologischen Erkenntnisse und ihre museale Präsentation betrifft. Ist dieser Eindruck zutreffend?

Varusschlacht

Tremmel: Jeder der beiden Orte hat eine eigene historische Genese und eine dieser Genese zugrundeliegende archäologische Quellenbasis: hier das fest ausgebaute und über viele Jahre belegte Standlager mit Marinebasis und Gräberfeld, dort der Ort einer nur wenige Tage dauernden Feldschlacht. Haltern und Kalkriese stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich auf ideale Weise. Wenn außergewöhnliche Funde zutage kommen, ist das für alle Beteiligten ein absolutes Highlight, das auch entsprechend präsentiert wird.

Welche Forschungsansätze verfolgen Sie nun primär mit weiteren Ausgrabungen in Haltern?

Tremmel: Die Ausgrabungen in Haltern bringen immer wieder neue Aspekte ans Licht. Aktuell erforschen wir zum Beispiel den antiken Verlauf der Lippe und die Uferanlagen der römischen Marinebasis. In Bezug auf den metallurgischen Fingerabdruck wollen wir die Fährte unbedingt weiterverfolgen.

Gibt es dort schon neue Erkenntnisse?

Tremmel: Aktuell wurden noch keine neuen Metallanalysen durchgeführt. Diese sind aber für das laufende Jahr geplant. Ich hoffe noch in diesem Jahr auf neue Erkenntnisse.

Müssten die metallurgischen Forschungen auch noch auf die anderen Legionslager längs der Lippe ausgedehnt werden?

In Haltern wurde ein gewaltiges Legionslager-Tor rekonstruiert. Vor diesem Bauwerk posieren Laiendarsteller in Legionärsausrüstung. Foto: Jürgen Christ

Tremmel: Genau das muss das Ziel sein. Wir können nicht nur Kalkriese mit Haltern vergleichen, sondern auch Haltern mit den anderen Lippelagern. Die Militäranlagen in Haltern und Delbrück-Anreppen sind um einige Jahre jünger als Bergkamen-Oberaden, Lünen-Beckinghausen und Olfen. Die Frage ist, ob sich die Metallobjekte aus den älteren Standorten von denjenigen der jüngeren unterscheiden.

Welche Möglichkeiten der archäologischen Kooperation zwischen Kalkriese und Haltern sehen Sie in den kommenden Jahren?

Tremmel: Der gemeinsame wissenschaftliche Austausch fokussierte sich in den letzten Jahren hauptsächlich auf Grabungsbefunde. So weisen zum Beispiel die römischen Spitzgräben in Haltern und Kalkriese gewisse Gemeinsamkeiten auf. Die Forschungen zum metallurgischen Fingerabdruck eröffnen eine weitere Möglichkeit zur wissenschaftlichen Kooperation.

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