Große Bühne für kleine Kunst
Der Traum-Entfacher: Warendorf und sein Papiertheater-Festival
Warendorf
Papiertheater? Sind das die Anziehpuppen, denen Kinder immer wieder neue Papierkleider anheften? Nicht komplett falsch, aber trotzdem weit daneben. Papiertheater ist das, was es besagt: ein Theater. Und ein bezauberndes dazu.
Vorhang auf, Szene eins: Eine Erbse, saftig grün und verblüffend groß, ist ihres langweiligen Lebens überdrüssig, zieht nach Köln, erlebt Abenteuer, fällt, rollt und gerät leicht schlingernd vor den Füßen des Märchenschreibers Hans Christian Andersen in den Stillstand.
Während Manfred Kronenberg den Inhalt des etwas anderen Märchens kurz zusammenfasst, zeigt er immer wieder neue Bilder eines Würfels und blättert dann Karten auf. Eine zeigt einen Matratzenberg – oben eine Prinzessin und unten die Erbse. Eine andere die Erbse, die sich schwitzend von ihrer Matratzenlast befreit. Auf einer weiteren Karte beobachtet die Erbse die Prinzessin beim Techtelmechtel mit dem Stallburschen, bis schließlich der Würfel auf das Liebespaar fällt und eine fluchende Prinzessin unter sich begräbt. Oder eben doch keine Prinzessin. Denn die würde sich ja höfisch manierlich ausdrücken. Die Inszenierung heißt „Die Prinzessin unter der Erbse“ und ist typisch für den leichtfüßigen Humor des Warendorfer Künstlers Manfred Kronenberg.
„andersARTig“
Und sie ist auch typisch für das Papiertheater an sich, das scheinbar endlos viele Darstellungsformen möglich macht. Vom 10. bis zum 12. März ist das beim Warendorfer Papiertheater-Festival zu erleben. Kronenberg hat gemeinsam mit Magdalena Oxfort mehrere Bühnen eingeladen, die in Warendorf beispielsweise ein Bergdrama in 15 Szenen zeigen, ein schwebendes Pferd, den kleinen Prinzen oder eine Wagner-Oper. Sie bewegen Bilder, erzählen Geschichten, begleiten die Handlung musikalisch und hoffen, das Papiertheater durch Vielfalt, Humor und Fantasie vom Staub der Nostalgie zu befreien. Denn der haftet noch immer hartnäckig an dieser Kunst. Und wird doch ständig widerlegt: Magdalena Oxfort ist davon überzeugt, seitdem sie Bilder von Manfred Kronenberg gesehen hat. Als Kulturreferentin für Westpreußen unterstützt ihre Stiftung das Projekt finanziell. Kronenberg nimmt daran auch als Künstler teil – mit dem Theater „andersARTig“, das er gemeinsam mit dem Autor Dieter Lohmann gegründet hat.
Eine Zeitreise nach London. Am Leicester Square eröffnen Künstler im Februar 1781 ein dreidimensionales Modelltheater mit einem sperrigen Namen: Eidophusikon heißt es, andere bezeichnen es als Wolkentheater. Die ersten Gäste werden mit großer Wahrscheinlichkeit fasziniert gewesen sein. Wo hat man zuvor Naturschauspiele gesehen, simuliert mit Geräuschmaschinen und grellen Blitzen, erzeugt vermutlich durch ein Pulver auf Magnesiumbasis? Das Pulver hatte es in sich. Einige Nachfolgetheater brannten nieder, weil ihre Betreiber das Pulver allzu verschwenderisch verwendet hatten.
Die pure Illusion
„Es war eine Art Kino“, sagt Kronenberg. Ein miniaturisiertes Theater, das beispielsweise Seeschlachten in mehreren nacheinander gezeigten Bildern nachstellte. Grelle Lichtblitze erzeugten Dramatik, heftiger Seegang ließ die Schiffe schaukeln. Kronenberg zeichnet die Mechanik auf einem Zettel auf. „Sehen Sie? Hier wurden Bretter verzahnt. Und wenn sie gedreht wurden,“ – Kronenberg zeichnet eine Kurbel – „entstand die Illusion von Wellen.“ Illusion ist ohnehin eine tragende Metapher für das Papiertheater. Sie ist ein Traum-Entfacher.
Die Erfindung der Lithographie Jahrzehnte später verhalf dem Papiertheater zu einem auch kommerziellen Erfolg. Druckereien verkauften Ausschneidebögen, die Kinder des Bürgertums an Führungsdrähten bewegten. „Die Familien haben dann Verwandte und Freunde zu Vorführungen eingeladen“, erzählt Magdalena Oxfort. Für die Kinder dürfte das ein aufregendes Theaterabenteuer gewesen sein – vergleichbar mit dem Finale eines Kreativworkshops. Bis zum Beginn das Ersten Weltkrieges ging das so. Danach interessierten sich nur noch Sammler für das Papiertheater.
Sammler wie Kronenberg. In London entdeckte er in einem Geschäft Papiertheater-Zeichnungen und -mechanik, die ihn faszinierten. „Ich war schon immer ein neugieriger Mensch, der sich für alles interessiert, was mit Mechanik zu tun hat“, sagt er. Recherchen zum Thema machten ihn auf ein Festival aufmerksam – das Preetzer Papiertheatertreffen, das er danach regelmäßig besuchte. 15 Jahre später wechselte er die Seiten und tritt seitdem regelmäßig mit Dieter Lohmann auf. Lohmann erzählt und liest eigene Texte und Dichtungen, und Kronenberg malt.
Traditionell, individuell, andersartig
Der 69-Jährige bewegt sich auf den Holzbohlen des historischen Rathauses in Warendorf, in dem noch bis zum 12. März eine Ausstellung über das Papiertheater zu sehen ist. „Traditionell, individuell, andersartig!“ Genauso will er das Miniatur-Theater verstanden wissen. Und ganz schnell zeigt er noch eine Szene aus einem Stück, in dem Till Eulenspiegel mit einem Luftschiff zu den Narren der Welt fliegt und in Tokio einen listigen Mann findet, der immer dreister raubenden Ganoven mit Humor das Handwerk legt. Kronenberg wechselt dabei das Hintergrund-Bild und klappt Figurengruppen auf Karten auf, so als öffne sich eine Tür, aus der immer wieder neue Schauspieler die Bühne betreten. Die Minuten reichen, um ihn in der Welt des Papiertheaters versinken zu lassen. Einer kleinen, bunten Welt voller Fantasie und Witz.
Papiertheater? Sind das die Anziehpuppen, denen Kinder immer wieder neue Papierkleider anheften? Nicht komplett falsch, aber trotzdem weit daneben. Papiertheater ist das, was es besagt: ein Theater. Und ein bezauberndes dazu.
Das Papiertheater Festival findet vom 10. bis zum 12. März an mehreren Orten in Warendorf statt. Die Festival-Karten sind nur über den Ticket-Service des Scala-Filmtheaters unter www.scala-warendorf.de oder an der Kino-Kasse, Klosterstraße 5, erhältlich. Alle Infos zu den Stücken finden sich unter www.papiertheater.eu. Die Ausstellung zum Thema ist noch bis zum 12. März im alten Rathaus am Markt zu sehen. Öffnungszeiten Dienstag bis Freitag 15 bis 17 Uhr. Samstag und Sonntag 14 bis 17 Uhr.
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