Am Dom in Osnabrück gab es zuletzt einige Aufregung um kostbare Gegenstände
Rauchfass wieder da – Reliquien weg
Osnabrück
Ein Weihrauchfass kehrt nach fast 50 Jahren zurück, eine Reliquie des seligen Niels Stensen wird gestohlen. Rund um kostbare Gegenstände hat es zuletzt am Dom in Osnabrück immer wieder einige Aufregung gegeben. Wir schauen zurück.
Brachiale Gewalt wandten Diebe nicht an, als sie Ende Januar in der Marienkapelle im Südwestturm des Osnabrücker Domes die Reliquie des seligen Bischofs und Naturwissenschaftlers Niels Stensen stahlen. Offenbar ging es den Langfingern vor allem um den geistlichen Wert des Knochenfragments, denn neben diesem ließen sie auch das dazugehörige Echtheitszertifikat mitgehen: die sogenannte Authentik.
Für das Bistum und die Domkirche wiegt der Verlust schwer, denn Stensen ist nicht nur der Patron des regionalen katholischen Krankenhausverbundes Niels-Stensen-Kliniken, sondern wirkte als Weihbischof von Münster unter anderem im Emsland und der Grafschaft Bentheim und damit im heutigen Bistum Osnabrück. Später lebte er zurückgezogen als Missionar in Schwerin, wo er 1686 starb. Sein Leichnam wurde sodann nach Florenz überführt und in der Basilika St. Lorenzo in einem Sarkophag beigesetzt – dem die Osnabrücker Reliquie am 20. Juli 1953 entnommen wurde.
Bevor Papst Johannes Paul II. Niels Stensen 1988 seligsprach, war das Bistum Osnabrück maßgeblich an dem dazu vorgeschriebenen kirchlichen Verfahren beteiligt. Vor allem wegen der zunehmenden Entfremdung zwischen Naturwissenschaft und Glauben gilt der exzellente frühneuzeitliche Wissenschaftler und Bischof heute Theologen und Naturforschern als Mittler zwischen beiden Sphären.
Im Dom konnten Stensen-Freunde die Reliquie zunächst viele Jahre an der Frontseite des Marienaltars in der bischöflichen Grabkapelle am Ostflügel des Dom-Chorumgangs aufsuchen, bevor der Künstler Albert Bocklage aus Vechta im Auftrag des Domkapitels einen eigenen Verehrungsort für den Seligen im Westen der Kathedrale schuf.
Reliquienverehrung und ein spektakulärer Diebstahl
Hier begegnet der Bischof dem Betrachter in Form einer lebensgroßen Büste, die auf einer Sandsteinstele fixiert ist. Darin befand sich in einer Nische hinter einer Glasscheibe ein kleines gläsernes Kästchen, das das in einen Samtstoff eingenähte Knochenfragment Stensens enthielt. Darüber war – ebenfalls unter Glas – die Bestätigungsurkunde aus Florenz zu sehen.
Das Paderborner Domkapitel bemühte sich noch vor wenigen Jahren um eine Niels-Stensen-Reliquie aus Florenz, die Kardinal Giuseppe Betori 2019 an den Paderborner Weihbischof Florenz Berenbrinker übergab. Inzwischen ist sie in einem Schaugefäß in der Vitus-Kapelle des Domes zugänglich.
Domdechant Johannes Wübbe und das Osnabrücker Domkapitel hoffen derzeit darauf, dass sich die Diebe einsichtig zeigen und das materiell eher wertlose Gebein zurückgeben könnten. Dass eine solche Hoffnung nicht unbegründet ist, zeigte sich im vergangenen Jahr: Damals kehrte ein 1974 gestohlenes, kostbares barockes Weihrauchfass über Umwege an den Dom zurück, weil die Tat den Dieb wohl im Alter reute. Um selbst nicht entdeckt zu werden, bat der Übeltäter einen Bremer Kunsthändler, das Stück diskret nach Osnabrück zu übermitteln.
Den Kontakt zum Diözesanmuseum knüpfte sodann der Osnabrücker Münzhändler Fritz Rudolf Künker, der mit dem Bremer Mittelsmann befreundet ist. Über das renommierte Münz-Auktionshaus kehrte das Weihrauchfass 2022 in den Bestand der Domkirche zurück, wo es Fritz Rudolf Künker an Bischof Franz-Josef Bode übergab. Dieser war hocherfreut über die späte Einsicht des Diebes, denn das edle Gerät ist als Werk des Osnabrücker Meisters Johann Christopher Hassberg ein wichtiges Zeugnis regionaler Silberschmiedekunst. Hassberg schuf das Stück vor 1770 in Osnabrück und kennzeichnete es mit seiner Meistermarke als sein Werk.
Inzwischen längst pensioniert, kann sich der ehemalige Domküster Wolfgang Kray noch gut an den Diebstahl am Weißen Sonntag des Jahres 1974 erinnern. An diesem ersten Sonntag nach Ostern hatte Domkapitular Stephan Vosse als Zelebrant des feierlichen Kapitelsgottesdienstes das Weihrauchfass zum Inzens eingesetzt, bevor die Küster das Stück wie üblich nach dem Gottesdienst neben der Tür zur Sakristei auskühlen ließen.
„Plötzlich hörten wir es scheppern, aber als wir vor die Tür liefen, war das Fass längst verschwunden“, schildert Wolfgang Kray den Vorfall.
Insgesamt war Küster Kray 42 Jahre am Dom tätig und setzte in dieser Zeit manches Utensil auf die Diebstahlliste. Darunter waren ein bronzenes Beuroner Friedenslicht in den 1980er Jahren, ein geflügelter Totenschädel vom Kerssenbrock-Epitaph während der Domsanierung um die Jahrtausendwende, Altarschellen, ein Messbuch, kleine Leuchter und vor allem Altarkerzen, wobei letztere jedoch bei Weitem nicht so kostbar waren wie das Weihrauchfass oder die Niels-Stensen-Reliquie.
Offenbar gibt es vor allem in Süddeutschland Reliquienliebhaber oder -verehrer, die sogar hin und wieder Diebstähle in Auftrag geben. Angesichts der verhältnismäßig großen Sorgfalt bei der Entnahme der Kultobjekte im Osnabrücker Dom ist ein solches planvolles Vorgehen nicht völlig auszuschließen. Eine ähnliche Sehnsucht soll in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts schon den später als Heiligen verehrten Bischof Hugo von Lincoln ins Kloster Fecamp geführt haben, wo er die Armreliquie der Heiligen Maria Magdalena zu verehren wünschte. Um einen direkten Kontakt zur Reliquie zu bekommen, trennte er zunächst den verhüllenden Stoff auf und biss zwei kleine Fragmente von der Reliquie ab – was schon seine Zeitgenossen als ungeheuren Frevel brandmarkten.
Vom Reformator Martin Luther im 16. Jahrhundert evangelischerseits als papistisches Gaukelwerk abgeschafft, ist die Reliquientradition der katholischen Kirche heute für viele Menschen nur noch schwer verständlich.
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