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Sexualisierte Gewalt

Belästigung ist für viele Frauen Alltag

Coesfeld/Münster

Sexuelle Belästigung und Gewalt gegen Frauen in Deutschland sind alltägliche Probleme. Die Anzahl schwerer Sexualstraftaten ist gestiegen, jedoch gibt es nur wenig Empathie für die Opfer. Viele Taten werden oft nicht angezeigt.

Für Frauen in Deutschland ist sexuelle Belästigung so fester Bestandteil ihres Alltags geworden, dass sie sie „schon gar nicht mehr wahrnehmen“. Das sagt Miriam Harosh-Pätsch, Leiterin der Frauenberatungsstelle in Coesfeld. Gleichzeitig sind die Beratungsstellen für betroffene Frauen chronisch unterfinanziert.

Einer aktuellen Umfrage des Frauennotrufs in Münster zufolge telefonieren 59 Prozent der befragten Frauen mit einer vertrauten Person oder tun so, als ob sie telefonieren, um mögliche Täter abzuschrecken. 48,4 Prozent halten ihren Schlüssel in der Hand, um ihn im Notfall als Waffe benutzen zu können, wenn sie draußen unterwegs sind.

Mit dem Themenschwerpunkt „Sexualisierte Gewalt“ wird unsere Redaktion in den kommenden Tagen und Wochen außergewöhnlich groß über das Thema berichten.

2022 ist die Zahl der schweren Sexualstraftaten, die der Polizei bundesweit gemeldet wurden, um 20,1 Prozent auf 11 896 Fälle gestiegen. Das geht aus der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik hervor. Im Jahr zuvor hatte die Zahl bei 9903 Fälle gelegen. Das Polizeipräsidium Münster berichtet von einem Anstieg von 424 Delikten 2021 auf 505 im Jahr darauf - den höchsten Wert in zehn Jahren.

Dunkelfeldstudie in Auftrag gegeben

Fachleute vermuten, dass betroffene Frauen nach der „#metoo“-Debatte und der Aufarbeitung von Missbrauchsskandalen wie in Münster, Bergisch Gladbach und Lügde eher bereit sind, eine Anzeige zu erstatten. Ein weiterer Grund könnte der Wegfall der Corona-Beschränkungen und damit einhergehend die Rückkehr ins öffentliche Leben sein. Das habe wieder mehr Tatgelegenheiten geschaffen, heißt es in einem Bericht der Innenminister des Bundes.

Für NRW hat das Innenministerium 2949 Vergewaltigungen erfasst – knapp 600 mehr als 2021. Das geht aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der AfD im Landtag hervor. Nach Angaben des Innenministeriums gab es parallel zu mehr Taten mit 2990 Personen auch mehr Opfer als im Jahr 2022 (2021 waren es 2385). Es seien allerdings auch mehr Tatverdächtige ermittelt worden: 2388. Ein Jahr zuvor waren es knapp 370 weniger.

Es bleibt ein Rätsel, wie viele Frauen in Deutschland tatsächlich Opfer von sexueller Gewalt werden. Das Bundeskriminalamt hat für seine Dunkelfeldstudie „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland (Skid)“ 46.000 Menschen befragt. Danach haben sechs Prozent aller Frauen ab 16 Jahren im Jahr vor der Befragung strafrechtlich relevante Sexualdelikte erlebt. Ein Prozent aller Sexualdelikte hätten die Opfer angezeigt, bei Missbrauch oder Vergewaltigung waren es knapp zehn Prozent.

Wenig Empathie für Opfer, viel Verständnis für Täter

Nach der aktuellsten, aber schon 19 Jahre alten deutschlandweiten Repräsentativstudie hat jede siebte Frau in Deutschland im Lauf ihres Lebens strafrechtlich relevante sexualisierte Gewalt erlebt, 60 Prozent aller Frauen in Deutschland haben sexuelle Belästigung erlebt.

Verschiedenen Studien kommen zu dem Ergebnis, dass auf jede Anzeige etwa zehn bis 20 Mal so viele Taten kommen, die Betroffene der Polizei nicht melden – vor allem, wenn die Täter der Ehemann, der Partner oder der Onkel sind.

Katja Grieger, Geschäftsführerin des „Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe - Frauen gegen Gewalt e.V.“ (BFF) beklagt, dass die sexualisierte Gewalt gegen Frauen nicht genug Aufmerksamkeit bekommt. Es gebe wenig Empathie für die Opfer und viel Verständnis für die Täter. Nicht ein Euro an Forschungsgeldern fließe in den Bereich.

Weitere Informationen rund um unseren Themenschwerpunkt zu sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt gegen Frauen finden Sie auf unserer Special-Seite. Und unter folgendem Link steht das gesamte WN-Angebot vier Wochen kostenfrei zur Verfügung: wn.de/digitalbasis

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