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Meinung

Wo sexuelle Belästigung anfängt – und worum es wirklich geht

Münster

In Gesprächen über sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt geht es immer wieder um eine Frage: Wo fängt es an? Warum die Frage eigentlich nicht wichtig ist und worum es wirklich gehen sollte – ein Kommentar.

In Gespräche über sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt wird häufig eine Frage gestellt: Wann fängt es an? Doch aus Sicht unserer Autorin sind andere Aspekte viel wichtiger. Foto: YW

Wo fängt sexuelle Belästigung an? Auf die Frage wird es keine so einfache Antwort geben. Ja, im Strafgesetzbuch sind sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung definiert. Doch reicht das? Viele Frauen würden darauf wohl mit „Nein“ antworten. Es reicht nicht, weil es einen Fakt gibt, der vielleicht nicht mit Zahlen oder einer aktuellen Studie belegbar, aber definitiv auch nicht wegzudiskutieren ist: Sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt sind für Frauen Alltag.

Was für einen Mann ein Witz, ein als Kompliment gedachter Kommentar, ein Blick ist, kann für eine Frau etwas ganz anderes sein. Zwischen dem, wie ein Mann und eine Frau dieselbe Situation wahrnehmen, können Welten liegen. Und das sollte jeder Mann wissen.

Sexualisierte Gewalt fängt überall da an, wo eine Grenze überschritten wird. Und ob ein Verhalten grenzüberschreitend ist, entscheidet kein Mann, kein Gesetz – sondern einzig die Frau, die es erlebt. Ganz egal, wo eine Frau die Grenze für sich zieht: Es gilt, sie immer zu respektieren. Wer nur darauf pocht zu fragen, wo sexuelle Belästigung anfängt, der hat nicht verstanden, worum es wirklich geht.

Mit dem Themenschwerpunkt „Sexualisierte Gewalt“ wird unsere Redaktion in den kommenden Tagen und Wochen außergewöhnlich groß über das Thema berichten.

Wenn Grenzen überschritten werden

Es geht darum, was sie mit den Frauen macht, die sie erleben. Und ob es dabei um einen unangebrachten Spruch oder um die schlimmste, unvorstellbare Form sexualisierter Gewalt geht, ist an dieser Stelle nicht relevant. Denn jede Form der Grenzüberschreitung ist verletzend.

Frauen erleben nach einem Übergriff Angst, Wut, Scham, Erniedrigung, Machtlosigkeit. Angst, davon zu erzählen. Angst davor, was noch hätte passieren können. Angst, was beim nächsten Mal vielleicht passiert. Wut auf den Mann. Und Wut auf sich selbst, nicht die passende Antwort parat gehabt, sich nicht gewehrt zu haben. Scham, dass ausgerechnet einem selbst so etwas passiert. Ohnmacht. All das können Blicke, Worte, Berührungen auslösen. Völlig unvorstellbar erst, was eine Vergewaltigung mit einer Frau anrichtet.

Angst, Wut, Scham, Erniedrigung, Machtlosigkeit

Für viele Frauen ist die Angst vor Belästigung oder sexualisierter Gewalt alltäglich. Sie haben Angst, allein im Dunkeln nach Hause zu gehen und laufen für einen gut beleuchteten Weg lieber einen Umweg. Lieber eine Freundin anrufen, um mit der Situation nicht ganz so allein zu sein. Lieber den Schlüsselbund in der Faust fest umklammern, um sich vielleicht verteidigen zu können.

Dass Frauen sich in Clubs mit einfachen Codes an Barkeeper wenden können, um Hilfe zu bekommen, ist gut. Dass es Telefonnummern gibt, die auf dem Heimweg angerufen werden können, ist hilfreich. Doch dass es diese Dinge braucht, ist ein trauriger Beleg: Frauen fühlen sich in ihrem Alltag oft nicht sicher.

Die alltägliche Angst vor Belästigung

Solche Erlebnisse und Gefühle dürfen kein Tabu sein. Und dass darüber noch immer so wenig gesprochen wird, ist nicht nur eine Demütigung, sondern auch ein Affront für jede Frau, die weiß, wie sich die Wut, die Angst, die Erniedrigung anfühlt. Opfer müssen angehört und ernst genommen, Täter verfolgt und bestraft werden.

Denn: Eine Frau ist nie selbst schuld. Ganz gleich, ob sie ein kurzes Kleid trägt, einen tiefen Ausschnitt, einen roten Lippenstift oder ein freundliches Lächeln. Schuld sind die Täter.

Weitere Informationen rund um unseren Themenschwerpunkt zu sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt gegen Frauen finden Sie auf unserer Special-Seite. Und unter folgendem Link steht das gesamte WN-Angebot vier Wochen kostenfrei zur Verfügung: wn.de/digitalbasis

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