Glossar
Sexuelle Übergriffe und Gewalt – eine sprachliche Betrachtung
Münster
Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexuelle Belästigung, sexueller Missbrauch - diese Begriffe beschreiben alle sexuelle Übergriffe, aber wo liegen die Unterschiede? Welche Auswirkungen haben sie auf die Betroffenen? Eine Analyse der verschiedenen Begriffe und ihrer Bedeutungen.
Wo fängt eine Vergewaltigung an, was ist Belästigung oder Nötigung, und wenn man von sexualisierter Gewalt spricht, meint das etwas anderes als sexuelle Gewalt? Sprachlich sind die Grenzen nicht immer so klar, wie man meinen könnte. Deswegen erklären wir hier einige Unterschiede.
Eine Vergewaltigung meint immer das Eindringen in eine natürliche Körperöffnung des Opfers mit einer sexuellen Motivation. Rechtlich gilt eine Vergewaltigung als besonders schwerer Fall des sexuellen Übergriffs. Bedrängt oder begrabscht ein Täter sein Opfer stark und droht mit Gewalt oder ist tatsächlich gewalttätig, gilt das als sexuelle Nötigung. Beides sind Verbrechen oder Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung und gegen das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit.
Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (BFF) betont, dass eine Vergewaltigung für jede Frau und für jedes Mädchen eine massive Verletzung ihrer Persönlichkeit und körperlichen Unversehrtheit bedeutet. Ihr wird der Wille einer anderen Person mit Gewalt aufgezwungen – und dies im äußerst sensiblen Bereich ihrer sexuellen Selbstbestimmung. Eine Vergewaltigung sei immer ein massiver Angriff auf die gesamte Persönlichkeit und wird als existenzielle Bedrohung empfunden, die regelmäßig mit akuter Todesangst einhergeht.
Eine grundsätzliche Änderung gilt seit der Änderung des Strafrechts im Jahr 2016. Bis dahin musste der Täter Gewalt angewendet oder angedroht haben, seitdem gilt die „Nein-heißt-Nein-Lösung“. Das bedeutet: Der Tatbestand eines sexuellen Übergriffs ist erfüllt, wenn das Opfer seinen entgegenstehenden Willen ausgedrückt hat, indem es etwa sagt: „Ich will das nicht.“ oder weint oder den Angreifer wegschiebt. So eindeutig wie erhofft ist die Regel allerdings nicht immer. „Was geschieht, wenn ein Opfer im Angesicht des Übergriffes erstarrt?“, fragt Daniela Pollich, Professorin für Polizeiwissenschaften an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW in Duisburg unserer Redaktion.
Manche Frauen sind starr vor Angst und lassen die Vergewaltigung scheinbar teilnahmslos über sich ergehen, so der BFF auf seiner Homepage. Einige wehren sich körperlich oder verbal. Andere verhalten sich scheinbar entgegenkommend, um so die Gefahr für ihr Leben zu verringern. Jede Verhaltensweise stellt einen Schutzmechanismus dar, der in einer extrem bedrohlichen Situation entwickelt wird, um das eigene Überleben zu sichern.
Sexuelle Belästigung ist nach einer Definition der Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung „jedes sexualisierte Verhalten, das von der betroffenen Person nicht erwünscht ist. Dazu zählen nicht nur verbale und physische Belästigungen, wie sexualisierte Sprüche oder unerwünschte Berührungen, sondern auch non-verbale Formen wie anzügliche Blicke oder das Zeigen pornografischer Bilder.
Sexueller Missbrauch bezieht sich in der Regel auf sexuelle Gewalt gegen Kinder. Zum einen ist er die Übersetzung des in anglo-amerikanischen Ländern gebräuchlichen Begriffs „child sexual abuse“, zum anderen wird er im deutschen Strafrecht verwendet.
Gemeinsam ist allen Begriffen, dass sie sexuelle Handlungen beschreiben, die gegen den Willen einer anderen Person geschehen. Oft benutzen verschiedene Disziplinen und Berufsgruppen unterschiedliche Begriffe, um sich voneinander abzugrenzen und bestimmte Aspekte besonders zu betonen. So sprechen Beratungsstellen in der Regel von „sexualisierter Gewalt“, Polizisten eher von „sexueller Gewalt“. Die Formulierung „sexualisierter Gewalt“ ist kein juristischer Begriff, sondern wird vor allem in sozialwissenschaftlicher Literatur häufig benutzt. Er vermittelt den Eindruck, dass bei den Taten Sexualität benutzt wird, um Gewalt auszuüben. Er soll betonen, dass es Gewalt ist, die auf ungleichen Kräfteverhältnissen basiert, die mit dem „Tatmittel Sexualität“ durchgeführt wird. So sagt es etwa Gerlinde Gröger, Leiterin der Beratungsstelle Frauen-Notruf Münster: Eine Vergewaltigung sei in allererster Linie ein Gewaltdelikt – und kein Sexualdelikt. Der intime Bereich der Sexualität werde genutzt, um die Wirkung von Gewalt zu erhöhen und das Opfer zu erniedrigen.
Daniela Pollich kann das gut nachvollziehen. „Das ist die Sprache der Opferschutzverbände, deren Aufgabe es ist, aus dieser Sicht auf das Thema zu blicken“, sagt die Professorin für Polizeiwissenschaften an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW in Duisburg. Sie selbst benutzt dagegen den Begriff „sexuelle Gewalt“, weil er im Kontakt mit der Polizei gebräuchlicher sei und er trotzdem ausdrücke, dass es um Gewalt, Machtausübung, Unterwerfung gehe und sexuelle Handlungen dabei ein fester Bestandteil seien.
Wie kompliziert die richtige Wortwahl beim Thema Sexualisierte Gewalt ist, zeigt die unterschiedliche Bezeichnung der Frauen, die sexuelle Gewalt erleben: sind sie Opfer, Betroffenen oder gar Überlebende? Auch da gibt es bewusst unterschiedlich Formulierungen. „Die Bezeichnung ,Opfer‘ lässt auch immer eine Hilflosigkeit mitschwingen“, sagt Daniela Pollich unserer Redaktion.
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