Bundespräsident gratuliert zu 900 Jahren Lippe
Jubiläumsparty: Stephan Prinz zur Lippe schlüpft in historisches Kostüm
Detmold (WB)
Als es still blieb und niemand den Bundespräsidenten auf die Bühne bat, nahm Frank-Walter Steinmeier die Sache selbst in die Hand und schritt ans Rednerpult. „Erwartungsgemäß haben sich die Lipper einen Moderator gespart. Deshalb kündige ich meinen Festvortrag selber an“, verkündete der 67-Jährige unter dem Lachen des Publikums. pper.
900 Jahre Lippe – mehrere hundert geladene Gäste feierten das Jubiläum am Sonntag im Landestheater Detmold mit einem festlichen Programm, das vom Ensemble des Theaters gestaltet wurde. Im Publikum saßen unter anderem Vertreter der Politik, der Wirtschaft und der großen christlichen Kirchen, außerdem Ehrenamtliche verschiedener Organisationen.
Das Haus Lippe wurde 1123 erstmals erwähnt. Bis 1918 regierte das Hochadelsgeschlecht ein Territorium, das dem heutigen Kreis Lippe entspricht. Dann dankte Fürst Leopold IV. ab. Dem Freistaat Lippe folgte eine parlamentarische Demokratie mit der SPD als stärkster Fraktion. Von 1933 bis zur Befreiung 1945 wurde das Gebiet de facto von der Reichsregierung in Berlin gesteuert. 1947 von den Briten vor die Wahl gestellt, sich Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen anzuschließen, entschieden sich die Lipper nach harten Verhandlungen ihres letzten Landespräsidenten Heinrich Drake (SPD) für das industriell stärkere NRW.
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) war der erste Redner. Er wies auf die aktuell schwierigen Zeiten hin und sagte, Lipper begegneten Herausforderungen durch Zupacken. Als ein Beispiel nannte er David Albrecht aus Lage und dessen Schwester Erika Rosenfeld aus Detmold. Die beiden hatten nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs für ein komplettes Kinderheim ein neues Zuhause in Lage geschaffen. „Ich war zweimal dort und habe erlebt, wie gut sich die Kinder entwickelt haben“, sagte Wüst, der das Engagement lobte und erklärte: „Ohne Lipper wäre unser Land nicht komplett.“
Dass es kein steifer Festakt werden würde, war spätestens klar, nachdem der Bundespräsident und seine Frau Elke Büdenbender den Theatersaal betreten hatten. Das Paar kam aus Brakelsiek, wo es Steinmeiers Mutter besucht hatte. „Morgen!“, rief der Bundespräsident dem Publikum zu, und locker blieb er auch in seiner Rede. Er sei vor 60 Jahren zum ersten Mal in diesem Theater gewesen, sagte er. „Als i-Männchen, in der Nachmittagsvorstellung von ‚Peterchens Mondfahrt‘.“ Zu seiner Jugend habe es außerhalb jeder Vorstellungskraft gelegen, als protestantischer Lipper eine weiterführende katholische Schule zu besuchen. Und eine „ökumenische Bank“ wie die heutige Sparkasse Paderborn-Detmold sei undenkbar gewesen. Das alles habe sich zum Glück inzwischen geändert.
Lippe sei nie reich gewesen, sagte der Bundespräsident. „Die Menschen litten früher bittere Not und verdienten Geld als Wanderarbeiter, zum Beispiel beim Grasmähen in Norddeutschland.“ Dieses Leben habe die Menschen zu Bescheidenheit erzogen, aber auch zu einer Beharrlichkeit, nicht aufzugeben und nicht in Verzweiflung zu verfallen. Aufschneiden und Prahlen sei nie ihr Ding gewesen. Frank-Walter Steinmeier erinnerte an zahlreiche Lipper, denen das Land viel zu verdanken habe, wie den damaligen Herausgebern der „Lippischen Landeszeitung“, die in der Weimarer Republik gegen Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit geschrieben hätten. Ebenso wie Felix Fechenbach, Redakteur beim SPD-Organ „Volksblatt“ in Detmold. Als er 1933 von den Nazis ins KZ Dachau gebracht wurde, schossen SS- und SA-Angehörige bei einem Stopp in der Nähe von Warburg auf ihn und verletzten ihn tödlich.
Doch der Bundespräsident wusste auch Anekdotenhaftes vorzutragen: „Als sich Heinrich Drake 1947 in Detmold mit den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zu Verhandlungen traf, war die Not in Lippe groß und es wurde vereinbart, dass jeder etwas zum Essen mitbringen sollte. Ministerpräsident Amelunxen brachte einen westfälischen Schinken mit, Ministerpräsident Kopf eine Oldenburger Mettwurst, und Heinrich Drake seinen Bruder.“ Steinmeier schloss mit der Hoffnung, dass das Wir-Gefühl den Lippern weiterhin Kraft geben möge und die lippische Rose „wachse und gedeihe“.
Anschließend erlebte das Publikum 900 Jahre Lippe im Schnelldurchgang – episodenhaft dargestellt von Schauspielerinnen, Schauspielern, Sängerinnen und Sängern des Landestheaters Detmold. Eingebunden waren aber auch einige Laiendarsteller wie Lippes Landrat Axel Lehmann (mit Bart und gekleidet als Heinrich Drake), Landesverbandsvorsteher Jörg Düning-Gast in historischem Kostüm als Friedrich Adolf zur Lippe (1667-1718) und Stephan Prinz zur Lippe, das Oberhaupt des Hochadelsgeschlechts. Er verkörperte seinen Vorfahren Bernhard VII., der von 1428 bis 1511 gelebt hatte. Bernhard VII. hatte den Beinamen „Der Kriegerische“, weil er viele Fehden geführt hatte. Die vielleicht bekannteste, die Soester Fehde, führte zur Verwüstung Lippes und zur vollständigen Zerstörung Blombergs. Stephan Prinz zur Lippe: „Eine Lehre, die wir aus dem Leben Bernhards VII. ziehen können, ist, dass es niemandem dient, Krieg zu führen.“ Wer nur nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“ vorgehe, verursache großes Leid.
Lippes Landrat Axel Lehmann, der Heinrich Drake und damit quasi einen seiner Amtsvorgänger darstellte, versetzte das Publikum zurück ins Jahr 1947: „Die Bauern in Niedersachsen wären uns Lippern sicherlich näher gewesen als die Jecken im Rheinland. Aber wir brauchten die Kohle aus dem Pütt und wollten ein Stück vom Wohlstand des Ruhrgebiets abhaben.“ Heute sei Lippe ein lebenswerter Kreis, der seine Kultur und seine Natur bewahre.
Beendet wurde der Festakt mit dem Leitmotiv der Symphonie „Die Rheinische“ von Robert Schumann (bekannt auch seit 1957 als Titelmusik von „Hier und Heute“) und der Nationalhymne, gespielt vom lautstark beklatschten Symphonieorchester des Landestheaters unter Leitung von Generalmusikdirektor Per-Otto Johansson. Stephan Prinz zur Lippe sagte anschließend: „Es war eine großartige Veranstaltung! Wir sind so dankbar, dass wir ein Theater haben, das in der Lage ist, einem Festakt einen so würdigen Rahmen zu geben.“
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