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Viele Fragen nach dem Tod von Zwölfjähriger

Was nach dem tödlichen Angriff auf Luise aus Freudenberg bisher bekannt ist

Freudenberg

Nachdem zwei Mädchen gestanden haben, die zwölfjährige Luise aus Freudenberg getötet zu haben, sind viele Fragen aufgetaucht. Auf einige gibt es die ersten Antworten.

Am Tatort in einem abgelegenen Tal waren Blumen und Kerzen am Mittwochmorgen wie in eine weiße Decke gehüllt. Foto: Roberto Pfeil/dpa

Nach dem tödlichen Angriff auf die zwölfjährige Luise im Siegerland hat das Jugendamt erste Maßnahmen für die fast gleichaltrigen mutmaßlichen Täterinnen ergriffen. Ein Überblick zu den aktuellen Umständen, die bekannt sind:

Wo sind die beiden Mädchen, die Luise getötet haben sollen, zurzeit?

Sie leben vorerst nicht mehr bei ihren Eltern. Die beiden 12- und 13-Jährigen seien „außerhalb des häuslichen Umfeldes untergebracht“, teilte der zuständige Kreis Siegen-Wittgenstein mit. „Das ist auch damit verbunden, dass die Kinder nicht ihre bisherigen Schulen besuchen.“ Die Mädchen hätten aber weiterhin Kontakt zu ihren Eltern. „Der Kontakt zur Familie ist aufgrund des jungen Alters der Mädchen für die Entwicklung einer gelingenden Unterstützung sehr bedeutsam und wird insofern unterstützt“, teilte der Kreis mit.

Wie gut kannten sich die mutmaßlichen Täterinnen und ihr Opfer?

Die mutmaßlichen Täterinnen und das Opfer sollen sich gekannt haben. Zum Motiv machten die Ermittler keine Angaben. Bei der Obduktion wurden zahlreiche Messerstiche festgestellt. Das Mädchen war nach Angaben der Ermittler verblutet.

Bleibt die Tat für die beiden Mädchen ohne Folgen?

„Nein“, sagt Gerd Hamme, Geschäftsführer des Bundes der Richter und Staatsanwälte NRW (DBR). "Der Staat guckt ja nicht weg, nur weil die Kinder nicht nach dem Strafrecht verurteilt werden." Das Jugendrecht biete viel kreativere und damit effektivere Möglichkeiten als das Strafrecht, das eigentlich nur Freiheitsentzug und Geldstrafen kenne. Welche Hilfen die richtigen seien, sei von Fall zu Fall unterschiedlich, erklärt Martina Huxoll-von Ahn, stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes. Jugendämter versuchten in solchen Fällen die Gründe für die Taten zu klären.

Für das Kind sei es dann möglicherweise besser, zumindest zeitweise in einem Heim oder bei einer anderen Familie zu leben. Manchmal müssen Kinder auch behandelt werden, weil sie psychisch, also seelisch krank sind. Für die Behandlung können sie in Einrichtungen kommen, die sie für eine bestimmte Zeit nicht mehr verlassen dürfen. Und der Jugenddezernent des Kreises Siegen-Wittgenstein, Thomas Wüst, sagt: Auch für die beiden Tatverdächtigen handele es sich um eine „ganz außergewöhnliche Situation, die viel Empathie und umsichtiges Agieren erfordert.“

Gerd Hamme, Geschäftsführer des Bundes der Richter und Staatsanwälte NRW Foto: privat

Warum kommen Zwölfjährige nicht vor Gericht?

„In Deutschland bestrafen wir nur Menschen, wenn sie in der Lage sind zu erkennen, dass sie etwas falsch gemacht haben“, erklärt Gerd Hamme vom DBR. Das betreffe kranke Menschen etwa mit einer Demenz oder einer Schizophrenie genauso wie Menschen, die wegen ihres Alters nicht verantwortlich gemacht werden können für das, was sie tun. Er hält es für keine gute Idee, wenige Tage nach der Tat darüber nachzudenken, die Grenze der Schuldunfähigkeit zu ändern. „Ich finde, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür.“ Da jetzt alle emotional sehr aufgewühlt seien, gebe es keine gute Grundlage, darüber zu beraten.

„Diese Aufgewühltheit ist eher kontraproduktiv“, sagt der Richter. Das Thema sei zu wichtig, um dafür jetzt etwas über Knie zu brechen. Richter und Staatsanwälte sähen zurzeit keinen Anlass, den Grundsatz zu ändern. Wenn, müssten Jugendforscher prüfen, ob sich im Bereich sittlicher und charakterlicher Reife und Fähigkeiten, sich regeltreu zu verhalten, etwas geändert hat oder nicht. Und der Konfliktforscher Andreas Zick weist darauf hin, dass Kinder durch Gesetze zu Jugendlichen gemacht würden. Das würde ihnen Strafen aufbürden, die sie nicht verstehen, und die ihnen auch nicht helfen würden. Wichtiger als eine schnelle Rechtsveränderung sei eine genaue Diagnostik. „Kinder, die getötet haben, brauchen eine intensive und lange psychologische Betreuung und ein Therapieangebot, ebenso wie die Angehörigen der Opfer dies auch brauchen“, sagte der Wissenschaftler.

Wie häufig passiert es in Deutschland, dass Kinder Kinder töten?

Nach Zicks Einschätzung ist es in Deutschland ein extremer Einzelfall, dass Kinder Kinder töten. Schwere Gewalttaten durch Kinder gebe es eher in anderen Ländern, etwa in den USA oder in Kriegsgebieten, sagte der Wissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd). In den USA kämen Kinder leichter an Waffen, daher gebe es dort mehr solcher Tötungsdelikte. Auch in Hochrisikogebieten und Kriegsgebieten gebe es Tötungen durch Kinder, etwa durch Kindersoldaten.

Was können die Gründe sein, dass Kinder gewalttätig werden?

Oft würden traumatisierte Kinder zu Tätern, die Gewalt oder Missbrauch erfahren haben, sagt Zick. Auch Kinder mit Entwicklungsdefiziten, die sich massiv missachtet und ausgegrenzt fühlten, hätten eine höhere Wahrscheinlichkeit, Gewaltfantasien auszuleben. Jeder dieser Fälle müsse jedoch für sich betrachtet werden, sie ließen sich nicht auf andere übertragen. Bei dem getöteten Mädchen aus Freudenberg könnte der anscheinend gemeinsame Plan der mutmaßlichen Täterinnen ein wichtiger Faktor gewesen sein.

Dr. Petra Kortas-Hartmann, Diplompsychologin und Fachbeauftragte der Bezirksregierung Münster für Schulpsychologie Foto: Bezirksregierung Münster

Wie sprechen Lehrende und Eltern am besten mit Kindern über den Fall Freudenberg?

Dr. Petra Kortas-Hartmann rät zu einem behutsamen Gespräch in Ruhe und nicht zwischen Tür und Angel. Die Diplompsychologin und Fachbeauftragte der Bezirksregierung Münster für Schulpsychologie rät zu einem Gespräch dann, wenn Kinder das Thema von sich aus ansprechen, wenn sich herausstellt, dass sie belastet sind und es sie beschäftigt. Sind sie noch kleiner und kennen den Fall gar nicht, sei es auch nicht nötig, das Thema anzuschneiden.

Es ist wichtig, sich die Fragen des Kindes anzuhören und darauf einzugehen. Sie rät dazu, sich auf deren Beantwortung zu beschränken und nicht proaktiv weitere Themen anzusprechen, die das Kind möglicherweise von sich aus gar nicht angeschnitten hätte und die es ängstigen könnten. Die Botschaft sollte sein, dass sie keine Angst zu haben brauchen und solche Taten von Kindern zum Glück äußerst selten sind. Keinesfalls sollten Eltern auf die Idee kommen, ihre Kinder jetzt plötzlich zur Schule zu fahren, das könnte zusätzliche Ängste schüren. Wichtig zu vermitteln sei, dass in der Welt zwar schlimme Dinge passierten, sie aber immer noch ein sicherer Ort sei.

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