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Aufarbeitung

Leid der Verschickungskinder an Rundem Tisch aufgearbeitet

Düsseldorf (dpa/lnw)

Hunger, Heimweh, Schläge - für Zehntausende Kinder wurden Kinderkuren seit der Nachkriegszeit zu traumatischen Erlebnissen, unter denen sie bis heute leiden. Seit langem fordern die Verschickungskinder die Anerkennung ihres Leids. Auf dem Weg dorthin können sie einen weiteren Erfolg verbuchen.

Von dpa

Die Aufarbeitung des Schicksals von Millionen sogenannter Verschickungskinder in Nordrhein-Westfalen geht voran. Am Dienstag (21. März) konstituiert sich in Düsseldorf ein Runder Tisch mit Betroffenen, Ministerien und Vertretern ehemaliger Trägerorganisationen der oft berüchtigten Kinderkuren. Das teilten das NRW-Gesundheitsministerium und der Verein Aufarbeitung Kinderverschickungen NRW am Freitag auf Anfrage mit.

Das NRW-Gesundheitsministerium hatte vor gut einem Jahr eine Studie zur Aufarbeitung des Leids der Verschickungskinder vorgelegt. Demnach wurden allein in NRW zwischen 1949 und 1990 Fahrten für über 2,1 Millionen Kinder in Kur- oder Erholungsheime organisiert. Laut der Studie wurde der Aufenthalt im Kurheim für viele Kinder zu einer Tortur, die sie bis ins Erwachsenenalter traumatisch belastete. Die Zeitzeugenberichte über Gewalt, Schläge, Essens- und Schlafentzug, Isolierung und Demütigung in den Kurheimen bezeichneten die Autoren der Studie grundsätzlich «als in hohem Maße glaubwürdig».

Einst fröhliche Kinder kehrten oft verängstigt nach Hause zurück. «Schwarze Pädagogik» werden die Methoden in der Fachwelt genannt. Heute sind die einstigen Verschickungskinder oft schon im Rentenalter - doch ihre Erfahrungen in den Kurheimen haben sie ihr Leben nicht losgelassen. Viele berichten von lebenslanger Schlaflosigkeit, Depressionen und Verlassenheitsgefühlen.

Für alle Bundesländer der damaligen Bundesrepublik wird die Zahl der in Kuren verschickten Kinder nach unterschiedlichen Berechnungen auf sechs bis acht Millionen oder sogar auf zwölf Millionen geschätzt. NRW nimmt mit der Aufarbeitung eine Vorreiterrolle ein. Am Runden Tisch in Düsseldorf sind neben Ministerien und Vertretern der Betroffenen unter anderem auch die Landschaftsverbände, Caritas und Diakonie, Ärztekammern, das Deutsche Rote Kreuz und der GKV-Spitzenverband beteiligt.

Der Verein Verschickungskinder erwartet eine unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschehnisse in den Kinderkuren und Wiedergutmachung durch Therapiefonds und spezielle psychosoziale Angebote. «Wir möchten Antworten auf die Fragen nach den Ursachen für die systematische Anwendung von schwarzer Pädagogik und Gewalt», sagte der Vorsitzende Detlef Lichtrauter. «Die öffentliche Übernahme der Verantwortung, Sichtbarmachung und Entschuldigung sind längst überfällig.»

Der SPD-Landtagsabgeordnete Dennis Maelzer, der sich seit langem für ehemalige Verschickungskinder engagiert, sagte: «Der Start des Runden Tisches ist nun ein weiteres starkes Signal, dass es Nordrhein-Westfalen mit der Aufarbeitung ernst meint.» In NRW sei es gelungen, dass Parteien und die Regierung sich des Themas angenommen hätten. Dies sei auch auf Bundesebene zu wünschen.

Parallel zum Runden Tisch wird am Dienstag im Düsseldorfer Landtag eine Wanderausstellung zum Thema Kinderkuren eröffnet, in der die Hamburger Künstlerin Heike Fischer-Nagel in Malerei und Skulpturen das Leid der Verschickungskinder darstellt. Fischer-Nagel ist selbst Betroffene. Sie wurde mit vier Jahren in den Westerwald verschickt. Die seelischen Folgen der Kinderverschickung prägen ihre Werke.

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