Hörimplantat
„Hören ist harte Arbeit“
Münster/Osnabrück
Das will sich Sabine Iffner nicht entgehen lassen: „Ich möchte meine Enkeltochter gut verstehen können, wenn sie zu sprechen beginnt“, betont die 60-Jährige. Weil ihr Hörgerät keine große Hilfe mehr war, ließ sie sich ein Cochlea-Implantat einsetzen.
Das will sich Sabine Iffner nicht entgehen lassen: „Ich möchte meine Enkeltochter gut verstehen können, wenn sie zu sprechen beginnt“, betont die 60-Jährige. Weil ihr Hörgerät keine große Hilfe mehr war, ließ sie sich ein Cochlea-Implantat einsetzen. Vor ein paar Tagen hat sie sich dieser Operation gestellt.
Mimik und Gestik sind neben dem gesprochenen Wort wesentliche Bestandteile der Kommunikation. Sind sie reduziert oder fallen gänzlich weg, ist die Verständigung deutlich erschwert. Die Maskenpflicht, die das Coronavirus nötig gemacht hat, macht das auch noch mal deutlich. Menschen mit normalem Hörvermögen erleben diese ungünstigen Begleiterscheinungen oft schon als Einschränkung. Für Patienten mit Hörschäden sind sie der reinste Horror.
Hinzu kommt, dass „OP-Masken etwa fünf Dezibel an Lautstärke schlucken, bei FFP2-Masken sind es sogar 12 Dezibel“, erklärt Dr. Bianca Kraemer, Koordinatorin des audiologischen Zentrums der HNO-Klinik und klinische Leitung der Abteilung für Neurootologie am Universitätsklinikum Münster (UKM). Aus ihrer Erfahrung kann ein Cochlea-Implantat 70 bis 90 Prozent des Normhörens zurückbringe.
Leben mit Hörproblemen
Seit frühester Kindheit kann Sabine Iffner hohe Töne nur schwer hören. „Man könnte es auch Konsonanten-Schwerhörigkeit nennen“, macht die Fachärztin deutlich. „Wörter wie Topf, Schopf, Kopf können Betroffene nicht unterscheiden. Für die Patientin ergibt sich quasi ein Lückentext, der erst mit anderen Worten einen Sinn ergibt.“ Hierbei sind die Patienten sehr stark auf das Mund- und Lippenbild der Sprechenden angewiesen. Das ist durch eine Maske eben nicht zu sehen.
Das wiederum führt oft zu Komplikationen, bei denen „man am Ende dasteht, als wäre man nicht ganz richtig im Kopf“, berichtet die junge Großmutter. Erst kürzlich wies sie beim Kauf einer Wanderhose die Verkäuferin auf ihre Schwerhörigkeit hin und bat diese, die Maske abzunehmen. Die Beraterin äußerte Verständnis, da sie das Problem von ihrem Mann kannte, behielt aber trotzdem die Maske auf. Als Sabine Iffners Mann sich einschaltete, um die Notwendigkeit des Lippenbildes noch mal zu betonen, „sprach sie einfach lauter und dann nur noch mit ihm. Das war echt erniedrigend,“ schildert sie.
Die Patientin aus Osnabrück hört schwer, seit sie denken kann: „Als Kind habe ich genuschelt und musste dann zur Logopädie. Dort wurde das Problem weder gänzlich erfasst noch wurde entsprechend reagiert.“ Die Hörgeräte der 1980er Jahre, die wenig attraktiv waren, lehnte sie als Jugendliche ab. Ihr Mann, den sie mit 21 Jahren kennenlernte, half Sabine Iffner, sich mit einem Hörgerät anzufreunden. Jedoch sind die Möglichkeiten, die so ein Hilfsmittel bietet, nach einigen Jahren für Patienten wieder ausgereizt und erfordern Erneuerung.
Hören neu erlernen
Nach Einsetzen des Cochlea-Implantats – zunächst nur auf der schwächeren Seite – beginnt für die Patientin intensive Arbeit. Ähnlich wie mit einem Hörgerät muss auch mit einem Implantat das Hören wieder erlernt werden. Mit jedem neuen Hilfsmittel muss sie das Hören neu lernen. Das Hörzentrum, das viele Jahre inaktiv war, muss sie wie einen Muskel wieder trainieren. Damit ist die aktive Sportlerin seit Langem vertraut. Dazu schildert sie gerne ein Beispiel aus ihrem Alltag. Beim jüngsten Hörgerät, das sie vor sechs Jahren bekam, musste sie das Gespräch mit ihrer Tochter in der Küche unterbrechen, als der Hund reinkam, um Wasser zu trinken. „Dieses Geräusch, transportiert über das neue Gerät, war mir fremd. Ich musste lernen, das neu zuzuordnen,“ sagt sie.
Eine Cochlea-Implantation dauert etwa 90 Minuten. Vergleichbar mit einem Hüftgelenk besteht das Material, das ein Leben lang hält, aus Silikon und Titan. Der Knochen hinter dem Ohr wird etwas vertieft, sodass das Implantat dezent fühlbar, aber nicht sichtbar ist. Aktiv wird das Cochlea-Implantat erst durch den hinter dem Ohr getragenen Sprachprozessor, der die aufgenommenen Töne elektromagnetisch an das Implantat unter der Haut weitergibt.
Etwa ein halbes Jahr – manchmal geht es aber auch schneller – sollten Patienten für diese Trainingsphase einplanen. Danach kann über das zweite Implantat nachgedacht werden.
„Was neu antrainiert wird, bleibt bis zum Lebensende stabil. Deshalb ist es sinnvoll, bei Beeinträchtigungen so früh wie möglich zu kommen und nicht zu lange zu warten“, erklärt Kraemer ausdrücklich. Die mit einer Cochlea-Implantation verbundene Technik erfordert umfangreiche Aufmerksamkeit. Deshalb kümmert sich ein studierter Cochlea-Implantat-Techniker um die feine Einstellung der Elektroden. Schließlich reizen sie direkt das Sinnesorgan. Ist Sabine Ifftner unterwegs, kann sie zukünftig auch über eine App ihr Gerät auf bestimmte Lebenssituationen besser anpassen und zum Beispiel das Mikrofon auf ihre persönlichen Bedürfnisse einstellen.
Sabine Iffner freut sich schon jetzt auf das nächste Familientreffen: „Ich bin sehr gerne unter Menschen und sehr zuversichtlich, dass ich das alles bald entspannter genießen kann. Hören ist aktuell echt harte körperliche Arbeit und anstrengend. Auf Partys brummte mir schnell der Kopf und ich bekam heftige Nackenverspannungen.“
Corona als Verstärker
Hat die Corona-Ära, unter anderem durch das Masketragen, mehr Schwerhörigkeit zutage gefördert? „Das lässt sich noch nicht an Zahlen festmachen“, erklärt die Oberärztin. „Hörverlust geschieht oftmals schleichend. Betroffenen wird oftmals durch das Tragen von Masken und dem damit einhergehenden fehlenden Lippenbild deutlich, wo sie stehen.“ Der dadurch verursachte Stress hat zur Folge, dass Betroffene sich oftmals zurückziehen und weniger am sozialen Leben teilnehmen.
Für alle Neugeborenen in Europa gibt es mittlerweile bereits nach der Geburt ein Hörscreening. Dem folgen weitere bei den regelmäßigen Untersuchungsterminen beim Kinderarzt. „Wünschenswert wäre, dass die Krankenkassen ein Screening für ältere Menschen übernehmen, damit auch hier reagiert werden kann“, betont Dr. Bianca Kraemer.
Wer mit der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde einen Termin vereinbaren möchte, kann sich unter 0251-83-56811 oder hno-ambulanz@ukmuenster.de melden. Ohrsprechstunde ist montags bis donnerstags von 8:00 bis 14:00 Uhr, die spezielle Cochlea-Implantat-Sprechstunde mittwochs von 9:00 bis 14:00 Uhr.
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