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Leistungsträger fehlen im Gislason-Team

Keine Lust auf Schwarz-Rot-Gold?

Kreis Steinfurt

In der kommenden Woche beginnt die Handball-Europameisterschaft der Männer in Ungarn und der Slowakei. Auch die Deutsche Mannschaft um Trainer Alfred Gislason geht an den Start. Doch große Chancen auf einen Medaillen-Rang hat das schwarz-rot-goldene Team nicht, denn einige Stars des Team haben abgesagt und nehmen nicht am internationalen Wettbewerb teil.

Von Martin Weßeling und Marc Brenzel

Mit Hendrik Pekeler hat einer der wenigen Stars im Team aus persönlichen Gründen seine Teilnahme abgesagt. Bundestrainer Alfred Gislason dürfte wenig erfreut darüber gewesen sein.Alex Nowitzki befürchtet eine Abwertung des Sports. Foto: dpa

Der National-Trainer lädt ein – und keiner geht hin? Es scheint fast so. Zwar ist die Deutsche Handball-Auswahl mit ihrem Trainer Alfred Gislason nach wie vor eine große Nummer im internationalen Wettbewerb, doch Stars der Szene wie der ehemalige Weltmeister Heiner Brand, Kreisläufer Christian „Blacky“ Schwarzer oder Ikone Stefan Kretzschmar sorgen sich um ihre Nachfolge.

Und tatsächlich: Im Vorfeld der Europameisterschaft in Ungarn und in der Slowakei, die in der kommenden Woche startet, haben etliche Stars und Sternchen der Szene abgesagt. Paul Drux (Füchse Berlin) ist nach überstandener Verletzung nicht fit, Youngster Juri Knorr (Rhein-Neckar-Löwen) nicht geimpft. Mit Fabian Wiede (Berlin), Hendrik Pekeler (THW Kiel) und Patrick Groetzki (Rhein-Neckar Löwen) haben weitere verdiente Leistungsträger der Auswahl abgewunken – aus privaten Gründen.

So kommen bei der EM insgesamt neun Nationalmannschafts-Novizen zu ihrem Debüt, wobei ein bitterer Nachgeschmack bleibt. Rein sportlich gesehen gehört die Deutsche Auswahl nun sicher nicht zu den Medaillen-Anwärtern. Und auch die Tatsache, dass andere Nationen weniger Mühe haben, ihre Akteure für die Titelkämpfe abzustellen, verwundert durchaus.

Alex Nowitzki, der sich beim SC Greven 09 als Sportlicher Leiter um die Zusammenstellung des Bezirksliga-Kaders kümmert, ist zwar kein ausgewiesener Handball-Fachmann und führt den Ball lieber am Fuß, hat aber eine klare Meinung. „Im Handball findet jedes Jahr eine EM oder eine WM statt. Im Fußball gibt es ja aktuell ähnliche Bestrebungen. Für mich ist das eine Abwertung der Sportart. Da kommt doch kaum noch Vorfreude auf. Im Prinzip geht es ja nur um die Vermarktung und damit ums Geld“, hätte Nowitzki wenig Verständnis, wenn eine Wettbewerbs-Inflation auch in „seiner“ Sportart greifen würde.

Das verdiente Leistungsträger offenbar wenig Lust hätten, für ihr Land zu spielen, sei schlimm. „Es muss doch eigentlich das größte Ziel und die größte Auszeichnung für einen Sportler sein, es in die Nationalmannschaft zu schaffen. Aber so ist die Außenwirkung natürlich alles andere als optimal. Immerhin muss man Verständnis für die Sportler aufbringen, denn die körperliche und mentale Belastung ist ja erheblich“, verweist Nowitzki auf die Tatsache, dass die Handballer auf Pausen weitgehend verzichten müssen und nach einer EM direkt wieder im Verein durchstarten.

Die hohe Leistungsdichte in den Deutschen Spitzenligen ist für Andy Storkebaum ein Grund mit, warum es Talente hierzulande schwer haben, sich mittelfristig durchzusetzen. „Uns fehlen die absoluten Topstars, was auch daran liegt, dass unser Nachwuchs kaum die Chance hat, den Sprung in die erste oder zweite Liga auf Anhieb zu schaffen. Die Zeit zu reifen fehlt ihm dann. Die Konkurrenz in Deutschland ist derart groß, dass die Vereine kaum einmal ein Risiko eingehen können. Das hat natürlich auch wirtschaftliche Gründe“, erklärt Handballer Storkebaum, der gleichzeitig dem Grevener Stadt-Sport-Verband vorsteht. „Es ist schon paradox: eine besonders starke Liga schwächt die eigene Nationalmannschaft.“

Verständnis zeigt der Grevener für Absagen, die im privaten Bereich liegen. Storkebaum maßt sich in dieser Hinsicht kein Urteil an. Doch auch für ihn ist klar: Jedes Jahr ein WM oder EM, diese Routine schwächt die Sportart auf Dauer.“ Zudem sei das Pensum, welches die Deutschen Nationalspieler zu leisten hätten, extrem hoch. „Normaler Liga-Betrieb, Champions-League und Nationalmannschaft. Alles ohne Pause – das ist schon Wahnsinn.“

„Die vielen Absagen – das ist natürlich echt schade“, verdrückt sich Luca Lehmann, Torwart des Landesligisten SC Arminia Ochtrup, eine kleine Träne. „Aber die Spiele gucke ich mir natürlich alle an. Was soll man in Corona-Zeiten auch sonst machen?“

Lehmann bringt durchaus Verständnis für die Absagen der Starspieler hervor. Die Belastung in der Bundesliga sei halt enorm hoch. Gerade für die älteren Akteure. Er könne nachvollziehen, dass der eine oder andere jetzt mal eine Pause brauche, so der Armine. Ganz generell bewertet er die enge Taktung der Turniere kritisch: „Jedes Jahr eine Europa- oder Weltmeisterschaft. So wird der sportliche Stellenwert der Turniere verwässert. Dieser Ein-Jahres-Rhythmus ist nicht im Interesse der Spieler, sondern im Interesse der Verbände. Bei denen steht das Geld im Mittelpunkt.“

Einen etwas engeren Bezug hat Lehmann zu diesjährigen EM. Beim Gastgeber Slowakei steht Tomás Urban im Kader. „Tomás‘ Bruder Marek hat mal bei uns in Ochtrup gespielt. Und daraus ist eine Freundschaft zu Tomás entstanden. Wir waren letztens noch in Minden, wo er jetzt unter Vertrag steht, um ihn anzufeuern. Daher drücke ich neben den Deutschen auch den Slowaken die Daumen“, fährt der Ochtruper zweigleisig.

Eckhard Rüschhoff, der die Kreisliga-Männer des TB Burgsteinfurt coacht, hatte seine Erwartungshaltung zunächst stark gedrosselt: „Wenn wir ohne die Leistungsträger antreten, kann das ja nichts werden. So habe ich vor drei Wochen noch gedacht. Mittlerweile sehe ich das anders: Jetzt bekommen junge Leute die Chance, sich auf großer Bühne zu zeigen. Das kann für die weitere Entwicklung der Nationalmannschaft nur von Vorteil sein. Ich bin gespannt.“

Für den Polizeibeamten aus dem Kreis Steinfurt ist klar, warum diverse Topleute auf eine Teilnahme verzichten. „Der Spielplan ist zu voll. Vor allem für die, die in der Champions League aktiv sind. Die Belastung ist schlichtweg zu hoch“, ist Rüschhoff überzeugt. „Hinzu kommt, dass zur Hauptinfektionszeit im Winter in geschlossenen Hallen gespielt wird. Da ist das Risiko, sich anzustecken, größer. Das könnte hier und da auch eine Rolle eingenommen haben. Auch wenn das keiner so in den Mund genommen hat.“

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