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Fußball: Regionalliga West

Tränen, Trauer und auch etwas Vorfreude bei den Preußen

Münster

Es klingt verrückt. Aber selbst der 6:1-Sieg, den Preußen Münster am Ende aufgrund des 2:0 von RW Essen gegen Ahlen im Herzschlagfinale benötigt hätte, wäre allein in der zweiten Hälfte gegen den 1. FC Köln II möglich gewesen. So aber endete ein unvergessliches Titelrennen für die Adler mit Wehmut – und ein bisschen Hoffnung.

Von Alexander Heflik

Zusammen auch im Moment des Schmerzes: Die Preußen wurden nach dem Abpfiff mit stehenden Ovationen verabschiedet. Foto: Jürgen Peperhowe

Das Grundrauschen im Preußenstadion ebbte direkt ab, diese Welle der Euphorie, der Zuversicht, die den ganzen Tag schon durch Münster geschwappt war beim Fanmarsch, in den Cafés, auf den Straßen in der Innenstadt, neben dem Stadion, in der Arena. Fast schon wie ein Aphrodisiakum des Fußballs wirkte das. Nicht alle, aber ganz viele Menschen in Münster waren Preußen, das große Momentum war zu spüren.

Doch es war dieser ehe kleine Augenblick, in dem RW Essen an der Hafenstraße durch Cedric Harenbrock in Führung ging, als positives Denken, Selbstbewusstsein, riesengroßes Selbstvertrauen und das münstersche Gemeinschaftsgefühl in die Knie gehen mussten. „Ja, ich habe es gemerkt in diesem Augenblick, als alles ruhig wurde“, sagte SCP-Coach Sascha Hildmann. Er kämpfte nach Spielschluss mit der Stimme und den Gefühlen.

Wie ein Boxer nach dem Niederschlag

Es war 14.33 Uhr, als der Traum von der Meisterschaft für den SC Preußen schlagartig, fast schockartig, weit, weit weg rückte. Keine fünf Minuten später, als wären die Adlerträger angezählt wie ein Boxer nach einem Niederschlag, folgte auch noch dieser vermaledeite 0:1-Rückstand im eigenen Haus, als Joshua Schwirten für den 1. FC Köln II zur Führung erfolgreich war.

38 Spieltage in der Regionalliga, sieben Pokalpartien, ein Dutzend Testspiele – genau in diesen Momenten innerhalb von fünf Minuten endete der Traum vom Aufstieg letztendlich, hier lief eine ganze Saison zusammen, verschmolzen zu diesem Extrakt. RW Essen hat es auf den letzten Metern geschafft und steigt als Regionalliga-Champion in die 3. Liga auf. Münster ist „nur“ Vize, nach Platz drei in der Vorsaison. Drei, zwei, eins – gelingt dann 2023 die Rückkehr in die Drittklassigkeit? „Na ja“, und für einen kurzen Moment fand Hildmann das Lächeln wieder: „Nach so einer Saison kann ich ja nicht sagen, wir spielen um Platz fünf mit. Klar, wir wollen uns verbessern.“ Das war eine ganz smarte Titelkampfansage aus dem Hause Preußen Münster. Das war ein lässiger Kommentar.

87 Zähler reichen nicht

87 Zähler. Eine magische Punktesammlung war das, sowohl von RWE wie auch vom SCP. Münster gewann, das darf keiner vergessen, mit 2:1 nach 0:1-Pausenrückstand gegen die Kölner U 21. Essen aber auch 2:0 über RW Ahlen. Weil sich an der Hafenstraße nichts mehr änderte, wäre Münster zu einem 6:1-Heimerfolg gezwungen gewesen. Das Kuriose dabei war: Münster hatte in einer dramatischen letzten halben Stunde die Chancen dafür. Kein Witz. Chancenwucher reloaded.

In diesem Herzschlagfinale zeigten die Top-Teams ihre Stärke, antworteten allen Widrigkeiten, zwei, drei Wimpernschläge des Fußballs waren der Unterschied am Ende der Saison. 87 Punkte. In 38 Spielen. Das mutete ein wenig wie Bayern München in der Viertklassigkeit an. Und das im Doppelpack. Die Wahrheit liegt aber auch darin, dass eben nur einer aufsteigt. Jedenfalls hier, in der Regionalliga West.

Peter Niemeyer

„Das tat jetzt weh“, rang auch Sportchef Peter Niemeyer mit Worten, die Augen feucht. Er und Hildmann dürfen sich als Architekten dieser sportlichen Erfolgsstory sehen. Und Niemeyer, der Ex-Profi, der mit Hertha BSC auf- und abstieg in die und aus der Bundesliga, sprach nach der Partie im Kreis des Vertrauens zur Mannschaft, zum Trainerstab, zu Funktionären und Mitarbeitern: „Wir werden daran wachsen als Mannschaft, als Verein, als Stadt.“ Nach dem Abstieg 2020, einer Art Aufbausaison als Tabellendritter im Frühling 2021 war diese Vizemeisterschaft ein großer Schritt nach vorne im Jahre 2022.

Die pure Enttäuschung war allen dennoch ins Gesicht geschrieben, Tränen und Trauer machten sich breit, doch als die Spieler ihre Runde durch das ehrwürdige Preußenstadion drehten, wurden sie gefeiert. Niemeyer meinte dazu: „Wir haben etwas Großes geschafft.“ Der Blick geht jetzt schon nach vorn. Es könnte tatsächlich noch viel besser werden in der Zukunft. Wehmut und Vorfreude vermengten sich, es war 16.33 Uhr an diesem Samstag, schon sah die Fußballwelt der Preußen wieder ein bisschen besser aus. Wirklich.

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