Fußball: Bundesliga
„Seit Tag eins gewartet“: Haller feiert BVB-Premiere an besonderem Datum
Dortmund
Vierter Sieg in Serie: Borussia Dortmund bringt sich mit dem Sieg gegen den SC Freiburg in Position. Und das mit Sébastien Haller. Der Stürmer trifft nach Hodenkrebserkrankung erstmals. Ganz nebenbei setzt der Club ein starkes Zeichen.
Vorsichtig abtasten? Nur neben dem Platz! Absichtliches Handspiel erwünscht! Ein Griff ist die beste Verteidigung! Die Botschaft in schwarzen Lettern auf gelbem Untergrund an den Wänden in den Toiletten unweit der Medienzone in den Katakomben des Signal-Iduna-Parks ist unmissverständlich. Und sie wird auch im Rund des Stadions durch einen halbkreisförmigen Fortsatz am Mittelkreis sichtbar. Man könnte meinen, Platzwart Willi Droste, der Herr der Linien, hätte beim Kreiden einen Aussetzer gehabt. Von wegen: Jener kleine, ins Auge fallende „Knubbel“ soll einen Tumor symbolisieren.
Am internationalen Weltkrebstag setzt Fußball-Bundesligist Borussia Dortmund am Samstag im Rahmen des Spitzenspiels gegen den SC Freiburg ein starkes Zeichen im Kampf gegen Hodenkrebs. „Geht zur Früherkennung. Das kann Leben retten“, mahnt Sébastien Haller in einem berührenden Video. Der ivorisch-französische Stürmer, im Juli 2022 selbst erkrankt, schreibt um 16.37 Uhr vor 81.365 Zuschauerinnen und Zuschauern die wohl schönste Geschichte an diesem 4. Februar. Nach kräftezehrenden Chemotherapien und zwei Operationen nickt er eine Flanke von Raphael Guerreiro fein mit dem Kopf ein – das 3:1 (51.). Sein Premierentreffer im BVB-Dress beim eindrucksvollen 5:1 (1:1) gegen schwache und dezimierte Breisgauer. Kiliann Sildillia sieht nach 17 Minuten und zwei törichten Foulspielen binnen 73 Sekunden Gelb-Rot.
„Fuck cancer“ – „Scheiß auf Krebs“
Und sie kommen – in Scharen. Haller verschwindet unter einer Jubeltraube, die sich nur schwerlich loseisen kann. Als sie ihn freigibt, blickt der 28-Jährige die gigantische Südtribüne hinauf. Ballt die Fäuste, deutet mit dem rechten Zeigefinger auf seine orangenen Fußballstiefel mit dem vielsagenden Schriftzug „Fuck cancer“ – „Scheiß auf Krebs“! Gänsehaut.
„Es bedeutet mir sehr viel, ich habe seit Tag eins darauf gewartet“, gibt er bei Sky preis. Er ist der gefragteste Spieler nach dem vierten Dortmunder Sieg in Serie. Da muss sich selbst Nico Schlotterbeck, Ex-Freiburger und Torschütze zum 1:0 (26.) mit einem sehenswerten Pfund aus spitzem Winkel, hinten anstellen. Karim Adeyemi (48.), Julian Brandt (69.) und der eingewechselte Giovanni Reyna (82.), für den Kapitän Marco Reus bei seinem glanzlosen Comeback nach 71 Minuten das Feld räumt, sind erfolgreich beim schwarz-gelben Offensivspektakel, das für Haller bereits nach 61 Minuten mit seiner Auswechslung endet. Während sich gefühlt das gesamte Publikum erhebt, anerkennend Applaus spendet, genießt der Torschütze diesen Moment. „Man schwebt auf einer Wolke. Das gibt mir einen Schub“, sagt er.
Sein Club schickt im Anschluss via Twitter zwei Fotos um die Welt. Das eine Bild zeigt den Angreifer während seiner Leidenszeit angeschlagen auf der Tribüne ohne Haare, das andere unmittelbar nach dem Sieg mit erhobenem Daumen. Neue Lebensfreude, die irgendwie alle spüren. „Wir sind so glücklich, dass er zurück ist. Ich bewundere ihn, er macht uns stärker“, sagt Adeyemi – der ganz nebenbei als Flügelflitzer einen Tempo-Rekord aufstellt. Mit 36,7 Kilometern in der Stunde wird er „geblitzt“.
Die Borussia bringt sich im Titelrennen in Position. „Wir spielen sehr erwachsen, und wir finden uns jetzt. Es ist gut, dass wir in die Spur kommen, wir sind dran“, findet Sportdirektor Sebastian Kehl löbliche Worte für das, was er Woche für Woche nach der Winterpause sieht. Aber: „Jetzt kommt die heiße Phase.“ Mittwoch geht es im Pokal zum VfL Bochum, sieben Tage drauf ist der FC Chelsea im Hinspiel des Achtelfinales zu Gast.
Gelb-Rot für Freiburgs Coach Christian Streich
Andere Kaliber als der SC Freiburg am Samstag. Im Duell der Tabellennachbarn bleiben die Schwarzwälder alles schuldig. Obendrein sieht Trainer Christian Streich in Minute 77 durch den Unparteiischen Robert Schröder Gelb-Rot, nachdem sich der Temperamentsbolzen am Spielfeldrand kaum zügeln konnte, mehrere Entscheidungen in Frage stellte – und das mit abfälligen Gesten deutlich machte.
Der Sportclub wird die Reise in den Pott also schnell aus den Erinnerungen streichen. Auch wenn Lucas Höler mit seinem zwischenzeitlichen Ausgleich (45.) kurzzeitig die Hoffnungen auf den ersten Sieg seit 2001 anheizt. Damals im Oktober trifft ein Mann namens Kehl zum entscheidenden 2:0. Sébastien Haller ist da gerade sieben Jahre jung.
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