Vordenker mit eidgenössischem Stolz
Der brillante Theologe Hans Küng ist im Alter von 93 Jahren gestorben
Münster/Tübingen
Einer der größten Querdenker in der katholischen Kirche ist tot: Der Theologe und Kirchenkritiker Hans Küng starb am Dienstag im Alter von 93 Jahren in Tübingen.
Hans Küng galt als Rebell, Kirchenkritiker und Gegenspieler früherer Päpste. Aber Hans Küng war vor allem ein herausragender Theologe, ein brillanter Autor und Rhetoriker. Und er wollte vor allem Mahner sein in einer Welt, in der den Weltreligionen besondere Verantwortung für den Frieden zukommt. Am Tag nach Ostern nun ist der Gründer der Stiftung Weltethos im Alter von 93 Jahren in seinem Tübinger Haus gestorben.
2009, damals 81, zeigte sich Küng gespannt auf das Leben nach dem Tod. „Ich bin neugierig, was im Jenseits sein wird.“ Gerne würde er Wolfgang Amadeus Mozart und Thomas Morus treffen. Ob es dazu komme, sei aber unerheblich. Er glaube nicht an naive Himmelsdarstellungen. Solche Fantasien würden dem Ernst des Sterbens nicht gerecht.
Ein Schweizer blieb Küng nicht nur dem Dialekt nach. Eidgenössischer Stolz prägten sein Naturell und sein Selbstbewusstsein. Manche empfanden ihn als eitel. Diese Prägung war auch Ergebnis des „Falls Küng“, der eine der stärksten Erschütterungen bedeutete, die die katholische Kirche in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts traf. Da ging es um die Unfehlbarkeit des Papstes, aber auch um Grundfragen des Glaubens. Der Entzug der Lehrerlaubnis stellte 1979 den Höhepunkt eines lange schwelenden Konflikts mit Rom dar. Als Novum der deutschen Universitäts-Geschichte erhielt Küng einen unabhängigen Lehrstuhl für Ökumene in Tübingen. Zeitweise lehrte Küng als Kollege von Joseph Ratzinger.
Ja, Ratzinger, immer wieder Ratzinger. „Der Papst lässt mich nicht los, und ich lasse den Papst nicht los“, bekannte Küng einmal. Der 1954 zum Priester geweihte Wissenschaftler aus Sursee im Kanton Luzern war beim Konzil ebenso Berater wie das spätere Kirchenoberhaupt. Sie sahen sich immer wieder, zuletzt 2005, da empfing ihn Benedikt XVI. kurz nach seiner Wahl zu einem vierstündigen und damit ungewöhnlich langen persönlichen Gespräch in Castel Gandolfo. Konkrete Folgen hatte das nicht. Trotz aller Kritik an der Kirche und ihren Amtsträgern beteuerte Küng stets, ein „loyaler katholischer Theologe“ zu sein.
Küngs Bücher, von denen das Buch „Christ sein“ eine theologisch zentrale Rolle spielte, wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt und erreichten Millionenauflagen. Auch wegen der 1995 begründeten „Stiftung Weltethos“ blieb er ein weltweit respektierter Gesprächspartner für Wirtschaftsführer und Politiker. Küngs Ringen um ein „Weltethos“ traf den Nerv der Zeit. Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 weiß jeder, welche Schlüsselrolle gerade den Weltreligionen und ihrem Ringen um Verständigung zukommt.
Die Gründung eines Weltethos-Instituts an der Uni Tübingen 2011 sah der mit Ehrungen, Ehrendoktorwürden und Ehrenbürgerschaften überhäufte Wissenschaftler als Anerkennung seiner Arbeit auch auf Zukunft hin an. 2018 kam Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aus „Respekt für und Verehrung von Hans Küng“ nach Tübingen, um das Weltethos-Projekt und dessen Protagonisten zu würdigen. Er nannte Küng „ein bleibendes Vorbild“.
In drei schwergewichtigen Biografie-Bänden hatte der Theologe Hans Küng, damals schon in fortgeschrittenem Alter, bis 2014 Rechenschaft über ein ungewöhnliches, von Licht und Schatten umkränztes Theologenleben geliefert. Der letzte Band mit dem Titel „Erlebte Menschlichkeit“ schloss die beeindruckende Trias ab und beleuchtet jene gut drei Jahrzehnte, in denen sich Küng nach Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis im freien universitären Raum bewegen und bewähren musste. Auch der letzte Band wirkte wie ein großes Plädoyer für die Freiheit theologischer Forschung und wie die Bilanz eines Mannes, der es allen kirchlich „Offiziellen“ um so mehr „beweisen“ wollte.
Küng ließ und lässt den Leser bis heute in diesen drei Autobiografien minuziös teilhaben an seinem „Projekt Weltethos“, an seinen Reisen in fremde Länder, Kulturen und Religionen. 344 Stecknädelchen hatte die Großnichte auf der Küngschen Reisekarte gezählt! Küngs zutreffendes Mantra lautete stets, dass es „keinen Weltfrieden ohne Religionsfrieden“ geben werde. Ein solcher Religionsfrieden setze aber Toleranz und Verständnis voraus. Hier wird ihm niemand widersprechen.
Am Ende seines dritten autobiografischen Bandes ließ Küng damals den Leser an dem Prozess des Alterns von der Beendigung seiner alpinen Skilaufbahn bis hin zu Schilderungen schwerer gesundheitlicher Probleme teilnehmen. Trotz differenzierten Bemühens redete der Theologe damals allerdings auch letztlich aktiver Sterbehilfe das Wort, was Kritik auslöste.
Wie es heißt, ist Küng jetzt nach langer Parkinson-Krankheit friedlich eingeschlafen. Sein Lebenswerk wird weiterleben und der Theologie noch viele Erörterungen, Aufsätze und Bücher bescheren.
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