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Drei Frauen und eine Kindstötung

„Saint Omer“: Zwanghafter Diskurs über Mutterschaft

Nachstellung eines authentischen Prozesses über eine Kindstötung, im fiktionalen Teil ein zwanghafter Diskurs über Mutterschaft in der globalisierten Welt. Der mehrfach ausgezeichnete Film findet keine schlüssige filmische Form.

Von Hans Gerhold

Autorin Rama (Kayije Kagame) verfolgt den Prozess. Foto: Grandfilm/dpa

Eine junge Frau aus dem Senegal reist im Jahr 2013 mit der 15 Monate alten Tochter von Paris in die nordfranzösische Hafenstadt Saint Omer, wo sie das Kind bei Flut ins eiskalte Wasser legt und ertrinken lässt. Ein Krabbenfischer findet die Leiche, die Täterin wird per Strand-Webcam ermittelt. Vor Gericht gibt sie die Tat zu, plädiert auf „nicht schuldig“ und wird zu 20 Jahren verurteilt. Im Saal sitzt Dokumentarfilmerin Alice Diop, die den Prozess 2022 verfilmt.

Im Film heißt die Täterin Laurence Coly (Guslagie Malanda), deren Aussagen meist in starren Einstellungen aufs Gesicht verfolgt werden. Eigentliche Hauptdarstellerin ist Schriftstellerin Rama (Kayije Kagame), die über den Prozess einen Roman schreiben will und Ursachenforschung betreibt, die sie zu Colys Mutter Odile (Salimata Kamate) führt. In den Gesprächen der beiden Frauen kommen die sozialpolitischen Bedingungen und das Thema Mutterschaft zur Sprache. Rama ist Stellvertreterin von Regisseurin Diop, die „Saint Omer“ damit in die literarische Tradition der autofiktionalen Erzählung stellt, die der Film nicht erfüllt. Denn er ist kein Spielfilm, sondern zwanghafter Diskurs über Zwänge von Müttern in der globalisierten Welt.

Diops Drama enttäuscht

Um das unfassbare Thema Kindstötung drückt sich ­Alice Diop und lässt ihren mehrfach preisgekrönten Film im Finale ins albern Esoterische (Mütter als Mischwesen) und eine unangebrachte Humbug-Erklärung über Hexerei abgleiten. Eine schlüssige filmische Form findet Diop nicht.

Da waren ihre Vorbilder mit präziserer Beobachtung konsequenter, so Pasolinis „Medea“, Alain Resnais’ „Hiroshima mon amour“ und die Essayfilme von Jean-Luc Godard („Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß“) und Agnès Varda („Die Sammler und die Sammlerin“). Vor allem nutzten sie keine den Film erheblich störende aufdringliche Klagemusik. Enttäuschend.

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