„Der vermessene Mensch“
Ein Mitläufer im Genozid
Ein junger Ethnologe erlebt während des Herero-Aufstands in Südwestafrika 1904-1907 die Kolonialpolitik des deutschen Kaiserreichs als Genozid. Spröde inszeniertes Historien- und Kolonialdrama, das Rassenwahn, Herrenmenschen und Mitläufer thematisiert.
Der erste deutsche Spielfilm über den deutschen Völkermord an den Herero und Nama im Südwestafrika (heute: Namibia) der Jahre 1904–1907 ist „Der vermessene Mensch“ nicht. Das Verdienst kommt dem 1983/84 von Egon Günther in Südafrika gedrehten Kolonialdrama „Morenga“ zu, das den Genozid, den titelgebenden Guerillakämpfer, den Aufstand der Hereros und den legendären 1000-Kilometer-Marsch der Rebellen und Stämme durch die Kalahari aus der Sicht eines Veterinärs der deutschen Schutztruppe unter Hinzufügung historischer Dokumente erzählt.
Interessanterweise nutzen Günther und Lars Kraume („Der Staat gegen Fritz Bauer“), der an Originalschauplätzen drehte, beide Uwe Timms „Morenga“ (1978), der als postkolonialer Roman Literaturgeschichte schrieb. Kraume nimmt die Perspektive des Ethnologen Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) ein, der 1896 bei Professor Josef Ritter von Waldstätten (Peter Simonischek) Schädelvermessung (Kraniometrie) studiert und Begegnungen mit „vermessenen Menschen“ auf der Kolonialstellung in Berlin erlebt.
Als Hoffmann der Schutztruppe des Kaiserreichs als Beobachter zugeteilt wird, sieht er den Genozid an Zehntausenden Männern, Frauen und Kindern aus der Nähe und sammelt Totenköpfe aus Massengräbern. Da hat der Film in der Zeichnung der Arroganz der Herrenmenschen aus Wissenschaftlern an der Uni und Militärs an der Front starke Momente und zieht Parallelen zum Rassenwahn der Nazis und zum Holocaust. Hoffmanns Rolle als Mitläufer, der Gewissenskonflikte der Karriere wegen verdrängt, ergibt eine kluge Aktualität.
Kraume sieht den Mitläufer als „Konformist und Monster“, doch sein Film verwässert das Konzept durch das überdeutlich erotische Interesse Hoffmanns an Dolmetscherin Kezia (Girley Jazama), deren Kopf er vermessen hat. Was bleibt, ist ein etwas spröde inszeniertes Historiendrama, das seine Uraufführung im Deutschen Bundestag erlebte.
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