„Tár“: Cate Blanchett als toxische Star-Dirigentin
Maestro entpuppt sich als Monster
In „Tár”spielt Cate Blanchett eine korrupte Meisterdirigentin, die von den Mechanismen der modernen Öffentlichkeit zur Strecke gebracht wird. Sechsmal ist dieses Psychodrama für den Oscar nominiert.
Großes kündigt sich an, das zeigt schon der Abspann, der in diesem Film in voller Länge am Anfang steht und alles auflistet: vom Regisseur bis zum Stullenschmierer. Danach: ein Interview vor Publikum, geführt von Adam Gopnik, dem (echten) Klassikjournalisten des „New Yorker“, mit Lydia Tár, der (nicht echten) Star-Dirigentin, mit großer Geste und souveränem Charme gespielt von Cate Blanchett. Verwirrend konsequent wird die fiktive Protagonistin in den realen Kulturbetrieb eingepflanzt, fast könnte man Lydia Tár für die tatsächliche Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker halten.
In Berlin und Dresden wurde dieses sechsfach oscarnominierte Psychodrama gedreht, in zweieinhalb Stunden zeigt es die Künstlerin auf dem Plateau ihres Ruhms und dann ihren raschen Abstieg in die Niederungen anonymer Gebrauchskunst. Blanchett, die für die Rolle am 13. März vermutlich ihren dritten Oscar bekommen wird, verkörpert das stets auf der ultraschmalen Grenze zum Overacting, auf eine Weise indes, wie das nur absolute Könner hinkriegen. Zwischen Small-Talk-Charme und eisiger Powergeste liegen oft nur Zehntelsekunden. Am Anfang ist ihre Lydia ganz oben, sie dirigiert die Philharmoniker und plant eine Live-Aufnahme von Mahlers Fünfter. Mit ihrer ersten Geige Sharon (Nina Hoss) ist sie verheiratet, gemeinsam habe sie eine Tochter, ein schickes Haus. Fast könnte man die Details übersehen: wie sie hier und da ihre Macht missbraucht, Menschen benutzt, auch sexuell.
#MeToo
Stolpern wird sie über den Geist der neuen Zeit: Ein YouTube-Video macht publik, wie sie einen Studenten demütigt, ihre ausgebeutete Assistentin (Noémie Merlant) schlägt zurück, #MeToo besorgt den Rest. Der Kollaps einer Künstlerpersönlichkeit in die Groteske. Regisseur Todd Field, dessen letzter Film „Little Children“ 16 Jahre zurückliegt, legt einen visuell und akustisch brillant inszenierten Film der Unvorhersehbarkeiten vor, der seinen zunächst analytischen Blick auf die Klassikbranche in Horror-Tonlagen überführt und Fragen aufwirft, die gezielt unbeantwortet bleiben – ein Wagnis, das momentan nicht viele Filme eingehen.
Die größte Frage ist wohl die, warum der systemische Machtmissbrauch ausgerechnet an einer Frau durchgespielt wird. Tatsächliche Spitzendirigentinnen (etwa Marin Alsop) zeigten sich darüber entsetzt. Doch ein männlicher Protagonist wäre zu klischeehaft gewesen, sagt Field, der den Film ohne Blanchett nicht gedreht hätte. Ihm ging es um die Systemfrage. Sein Film ist jedenfalls jetzt schon ein Klassiker. Herausragend.
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