Premiere im Kleinen Haus: „Licht unter Tage“
Leben für die Kohle
Münster
Mitten im Raum, auf einer leuchtenden Quadrat-Fläche, sind die schwarzen Brocken gehäuft. Doch dann kommt eine Schar von Bergarbeitern mit Grubenlampen herein und verteilt die Kohle auf der gesamten Spielfläche: Die Helligkeit schwindet, das Licht ist unter Tage.
David Hohmanns Bühnenbild, zentral in Münsters Kleinem Haus platziert, setzt den Titel „Licht unter Tage“ auf bezwingende Weise um. So dass Regisseur Frank Behnke für die Europäische Erstaufführung des ersten abendfüllenden Tennessee-Williams-Stücks keine großen Szenenwechsel braucht, obwohl sich die Geschichte über Jahrzehnte erstreckt: Die Akteure schaben sich einfach Plätze und Gänge durch die stilisierte Kohlefläche, schichten sie auch mal zum Grabhügel – und zeigen damit zugleich, dass dieser Ort ihre Welt ist, in der sie sich einrichten müssen.
Besonders gilt dies fürs Familienoberhaupt, den Bergmann Bram Pilcher. Mark Oliver Bögel porträtiert ihn als bisweilen jähzornigen Patriarchen, der sich mit den Verhältnissen arrangiert, aber keinerlei Verständnis dafür aufbringt, dass die nachfolgenden Generationen aufbegehren. Selbst die Sorge seiner Frau um Söhne und Enkel lässt ihn kalt. Regine Andratschke spielt diese Hester als Ausbund der Verzweiflung, deren Tiefpunkt erreicht ist, wenn die männlichen Familienmitglieder zur gefährlichen fünften Sohle hinabsteigen. Und natürlich passiert ein tödlicher Unfall. Bram selbst geht am Ende in jenes Licht, dessen Metaphorik das Stück prägt: „Candles to the Sun“ heißt es im Original.
Brams eigentlicher Widerpart ist Tochter Star, die sich schon frühzeitig Gönner und Geld verschafft und deshalb im Streit die Familie verlässt. Maike Jüttendonk verkörpert sie als aufstrebende Frau und kratzbürstiges Kind zugleich, dessen Fluchten aber nicht aus der Welt des Bergwerks hinausführen. Das wird spätestens klar, wenn Star sich unglücklich in den Rebellen Birmingham Red verliebt, der beim Streik gegen die Minen-Gesellschaft eine zentrale Rolle spielt und dann zum Opfer wird: Florian Steffens ist in dieser Rolle ein Bruder von James Dean und Marlon Brando. Dass Star am Ende nach Birmingham fahren will, wirkt wie eine bitter-ironische Pointe des Stücks.
Regisseur Frank Behnke nutzt den fabelhaften Bühnenraum, um die Figuren rasant durch die Zeitverläufe zu führen. Der Chor, der etwa die Gruppe der streikenden Arbeiter verkörpert, trifft die Zuschauer mit ebenso unmittelbarer Wucht wie Daniel Rothaug und Maximilian Scheidt, die mit großer Dynamik als Sohn und Enkel dem Patriarchen Bram folgen. Den Frauen hingegen gönnt Behnke Zeit für ihre Melancholie. Da ist neben der Mutter die zunächst abgelehnte Schwiegertochter Fern: Carola von Seckendorff lässt die Frustration einer Mutter Gestalt werden, deren Ersparnisse für die Zukunft des Sohnes jetzt den Streikenden zugute kommen sollen. Und Star muss erkennen, dass sich ihre Sehnsucht nach einem schönen Leben mit Birmingham Red nicht erfüllt.
Behnke zeichnet diese menschlichen Tragödien sehr liebevoll nach und geht damit den umgekehrten Weg der amerikanischen Uraufführung, bei der das Sozialdrama betont wurde, was den Autor Tennessee Williams traurig stimmte. In Münster gibt Ilja Harjes einen Aufwiegler, den man mit Skepsis betrachten muss. Nur Claudia Hübschmann als zickige Unternehmers-Gattin im Kostümchen darf ein bisschen karikieren.
Und weil diese menschlichen Schicksale so berühren, ist die beherzte, wie ein packender Spielfilm abrollende Erstaufführung ein guter Griff.
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Die nächsten Termine: 20. und 22. Januar, 4. Februar
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