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Tina Dico in Dortmund

„Alte Freunde“ aus dem Norden

Dortmund

Dieser Übergang ist grandios. Gerade noch hat Tina Dico, Dänemarks erfolgreichste Popsängerin, sehnsuchtsvoll und symbolträchtig über den Ozean und das Abdriften von der Küste gesungen. Doch dann beginnt sie im Dunkel der Bühne mit dem perkussiven Gitarren-Intro ihres Hits „Count to Ten“ – und die Zuhörer möchten am liebsten aus den Stühlen springen.

Harald Suerland

Tina Dico allein mit ihrer Gitarre oder begleitet von drei Musiker: Die Dänin begeistert ihr Publikum auch in der gediegenen Atmospäre einer Philharmonie. Foto: Petra Coddington

Das lassen sie aber sein. Denn Tina Dicos Dortmunder Konzert findet nicht in einer Halle und nicht in einem Club statt, sondern in der Philharmonie, wo sonst die großen Orchester gastieren. Da wird eher andächtig gelauscht als euphorisch gegroovt, selbst bei einem Popkonzert. Insofern passt es bestens, dass die Konzerthaus-Veranstalter in ihrem Pop-Abo eine solch „erwachsene“ Variante anbieten, zu der sich kaum ein Teenie verirrt: Dicos Texte sind, sooft sie von Liebe und Sehnsucht handeln, feine und bilderreiche, dezent verrätselte Erzählungen, und ihre Musik verbindet gefällige Melodien mit komplexen Strukturen: Manche Kritiker scheuen sich nicht, sie als Songschreiberin mit Leonard Cohen zu vergleichen.

Teitur als Vorband

Den Anfang macht an diesem Abend jedoch Teitur, ein etwas unbeholfen hereinschlendernder Liedermacher von den Färöer-Inseln. Der singt zwar recht ungeschliffen – aber die Klavierklänge, die er zu seinen Songs zaubert, scheinen wir für ein Konzerthaus gemacht zu sein: Claude Debussy oder Erik Satie schauen vorbei, manches erinnert an Keith Jarrett. Keine halbe Stunde, und er hat die wartenden Dico-Fans zu Teitur-Fans gemacht.

Dann aber zeigt die große Blonde aus Dänemark, die mit ihrem Mann Helgi Jonsson und zwei Kindern in Island lebt, welches Kaliber sie ist. Eine Handvoll Lieder aus ihrer neuen CD „Whispers“ hat sie über ihr Programm verteilt, beginnt klug mit dem Opener „The Woman down­stairs“ und zeigt gemeinsam mit drei Begleitern, ihre Live-Qualitäten. Denn selbst, wenn die Arrangements sich von der Studioversion kaum unterscheiden wie beim Titelstück, kitzelt sie neue Effekte heraus: herrlich rockig. Dann wieder verblüffen dramatische Pausen wie bei „Craftmanship“. Und das wunderbare neue Stück über die alten Freunde hat eine dezent folkige Note.

Man möchte Tina Dico stundenlang zuhören

Helgi Jonsson ist der ruhende Pol an den Tasteninstrumenten, der musikalische Boden, auf dem Tina Dico mit Gitarre und kraftvoll-präzisem Gesang ihre Song-Ideen tanzt. Höhepunkte sind, wenn er mit seiner Posaune für fremde Klangfarben sorgt oder den Übergang zu einem Klassiker wie „Sacre Coeur“ gestaltet. Für einen Witz bei den Ansagen ist der deutsch sprechende Isländer mit österreichischem Akzent immer gut: ein „ziemlich fettes Lagerfeuer“ hätten sie gern für den Mittelteil entzündet, sagt er, doch das „geht goar net!“

In diesem Mittelteil sitzt zunächst nur Dico auf der Bühne, und wie sie so hinreißend „Room with a View“ vorträgt, möchte man ihr stundenlang zuhören. Doch nach und nach kommt die Band zurück, und Dico schafft es sogar, das Publikum in der gediegenen Konzerthaus-Atmosphäre mitsingen zu lassen. Die Ovationen, die sie erntet, sind am Ende kein bisschen leiser als bei den riesigen Orchestern, die sonst hier spielen.

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