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Kultur Nachrichten

Von Fi(s)chen und Ka(r)nickeln

unserem Redaktionsmitglied Harald Suerland

Münster - Die arme Studentin aus Aachen: Befand sich im münsterschen Einwohnermeldeamt und hörte zum ersten Mal von der kleinen Stadt Ochtrup. Ah, Ortrup, dachte sie fälschlicherweise: So müsste die korrekte Schreibweise aussehen, weil ja auch ihr „Spocht“ in Wahrheit ein Sport ist und weil „Gecht“ eigentlich Gerd heißt.

Schmunzelnd erzählte Jürgen Macha von dieser und anderen Sprech- und Schreibfallen, die entstehen, weil ein mundartlich geprägter Sprecher etwas besonders korrekt wiedergeben will. Hyperkorrektur sagt der Wissenschaftler dazu - und ein solcher Wissenschaftler ist Professor Dr. Jürgen Macha vom Germanistischen Institut der Uni Münster. Er gewährte in der Vortragsreihe „Dialekte zwischen Schwund, Wandel und Recycling“, die die Kommission für Mundart- und Namenforschung gemeinsam mit dem Medienhaus Aschendorff veranstaltet, Einblick in seine Forschungen zur „Überkorrekten Sprache in Westfalen und im Rheinland“.

Sein Vortragstitel „Täglig fricher Fich“ spielte auf zwei Hyperkorrekturen an. Zunächst das „g“ am Ende eines Wortes, das nach einem „i“ als „ch“ gesprochen wird: So muss der König wie ein „Könich“ klingen, und das bleibt auch „ewich“ (geschrieben: ewig) so. Wenn aber der Tag zum „Tach“ wird, dann ist das nicht korrekt im Sinne der Standardsprache, sondern es ist Mundart. Versucht nun solch ein Mundart-Sprecher, sich ganz besonders korrekt zu verhalten, so macht er womöglich aus dem „täglich“ ein „täglig“ - ein Wort, das es nicht gibt, das aber schon auf Ankündigungstafeln entdeckt wurde. Und für den „frichen Fich“ ist wahrscheinlich ein Rheinländer verantwortlich, der gerne „isch“ für „ich“ sagt und folglich glaubt, alle „-isch“-Wörter müssten korrekt mit „ich“ geschrieben und gesprochen werden - Jürgen Macha selbst hat es bei seinen Forschungs-Befragungen rheinischer Handwerksmeister erlebt.

Hyperkorrekturen beim Sprechen gibt es vor allem dann, wenn die Sprecher psychischer Belastung ausgesetzt sind. Ein Kollege Machas hat seine Untersuchungen in einer Kaserne angestellt: Unter den Rekruten, die den Befehl „Hochdeutsch sprechen!“ erhielten, gab es einen weitaus höheren Prozentsatz von Hyperkorrekturen als unter Machas entspannten Handwerksmeistern. Und dass Hyperkorrekturen oft bei sozial aufstiegsorientierten Gruppen vorkommen, erscheint dem Forscher plausibel: Sie ahmen die Sprechweise der „höheren Schicht“ nach und übertreffen sie dabei auch mal ins Überkorrekte.

Das setzt sich gelegentlich sogar durch. Zum Karnickel kam es sprachgeschichtlich nur, weil Westfalen, die den Gerd (rheinisch: „Gecht“) zum „Geat“ und den Bart zum „Baat“ machen, überall, also auch bei der umgangsprachlichen Kaninchen-Variante, ein unausgesprochenes „r“ vermuten. Daher das Ka(r)nickel.

» Am 2. Juni um 18.30 Uhr spricht Stephan Elspaß im Medienhaus Aschendorff über „Pusemuckel gibt´s nicht überall. Wie man von Online-Erhebungen zum einem Atlas zur deutschen Alltagssprache kommt“.

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