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Wenn wir plötzlich berlinern

unserem Redaktionsmitglied Johannes Loy

Münster - Warum machen Menschen offenbar immer öfter Dialekte nach? Wer ist überhaupt in der Lage, andere Sprachklänge zu imitieren? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigte sich am Dienstagabend der münstersche Germanist Jens Lanwer im fünften Vortrag der Reihe „Dialekte zwischen Schwund, Wandel und Recycling“ im Medienhaus Aschendorff. Eine wesentliche Erkenntnis des Abends: Dank der permanenten Verbreitung unterschiedlicher Dialekte in den Medien sind gerade auch junge Leute in der Lage, diese zu imitieren und in bestimmten Gesprächssituationen zu nutzen. Sprachexperten sprechen übrigens von „Crossing“, wenn sich plötzlich andere Dialekte unter die Sprache mischen.

Wir alle kennen Kabarettisten, Komödianten oder Karnevalisten, die in andere Dialekte verfallen, um zum Beispiel besonders lustig oder prollig zu wirken. Dort hat der Sprachwechsel mit der Freude am Spiel, am Nachahmen oder einfach damit zu tun, dass man andere auf die Schippe nehmen will. Das tägliche Leben des Sprachforschers, der ja gerade den Alltag unter die Lupe nehmen möchte, ist da schon schwieriger. Jens Lanwer präsentierte Tonbandmaterial aus münsterschen Wohngemeinschaften. Ein Gesprächsteilnehmer schwenkte da ins Rheinische um. Klar, es ging um Fußball, und nun wollte er offenbar so sprechen wie Reiner Calmund. Ein anderer verfiel ins Berlinerische, um seiner Freundin trotz versalzenen Essens mit einem „Ick lieb Dir, Schatz!“ zu signalisieren, dass das doch alles nicht so schlimm sei. Lanwers Erklärung: Möglicherweise verfallen wir dann in andere Dialekte, wenn wir Distanz nehmen wollen zu dem, was wir sagen. Wir nehmen sozusagen eine andere Rolle ein, und das, was wir sagen, klingt dann lustig und nicht so dramatisch.

In der lebhaften Diskussion unter den rund 50 Vortragszuhörern verdichtete sich die Meinung, dass Imitation von Sprachen und Dialekten etwas sei, das bestimmte Kompetenzen verlange. Man benötige ein gutes Gedächtnis und auch ein gewisses musikalisch-melodisches Grundverständnis, um zum Beispiel Laute und Tonhöhe zu variieren. Es sei ferner davon auszugehen, so hieß es in mehreren Gesprächsbeiträgen, dass die Menschen mit bestimmten Dialekten besondere menschliche Eigenschaften oder Temperamente verbänden. So empfinde der eine, dass das Schwäbische spießig oder geizig klinge, der andere halte vielleicht das Kölsche für prollig, das Westfälische für bäuerlich-deftig und das Bayerisch-Alpenländische für weihnachtlich. Merke: Für die Forschung ergibt sich hier noch ein ganz weites Feld.

» Die Vortragsreihe schließt am 29. Juni (Dienstag) um 18. 30 Uhr im Medienhaus Aschendorff, An der Hansalinie 1 in Münster-Mecklenbeck. Referent ist dann Dr. Markus Denkler, Geschäftsführer der Kommission für Mundart- und Namenforschung Westfalens. Sein Thema: „Guett gaohn­ und tschüss: Westfälische Abschiedsgrüße im Wandel“.

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