„Out of the Box“
Münsterische Schulen gedenken der Opfer des Holocaust
Münster
Das Gedenken der münsterischen Schulen an die Opfer des Nationalsozialismus hat in Münster Tradition. Viele Schulen in Münster bereiten den Gedenktag am 27. Januar seit Wochen vor. Wir haben einen Überblick, was in den Schulen passiert.
Geschichtsunterricht heißt, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das kann auf vielfältige Art geschehen – und ist alles, nur nicht verstaubt. Das jedenfalls haben die Schülerinnen und Schüler erfahren, die das gemeinsame Gedenken der münsterischen Schulen an die Opfer des Nationalsozialismus vorbereitet haben.
Wenn am Freitag (27. Januar) die Feierstunde auf dem Platz des Westfälischen Friedens mit zahlreichen Delegationen aus den Schulen und Vertretern von Stadt und Bezirksregierung um 11.30 Uhr stattfindet, ist ein Höhepunkt erreicht. Der ist aber nur das i-Tüpfelchen. Denn in den Schulen ist seit Wochen viel los. Geschichtskurse verschiedener Jahrgangsstufen bereiten den Tag vor. Der steht unter der Überschrift „Kunst trotzt“ – und lädt geradezu dazu ein, Ausstellungen zu organisieren.
Ausstellung am Gymnasium Paulinum
Am Gymnasium Paulinum haben sich Schülerinnen und Schüler mit ihrer Geschichtslehrerin Anna-Lena Böttcher Künstlern und Aktivisten gewidmet. Sie haben Poster zu Felix Nussbaum, Nelly Toll oder Irene Harand angefertigt und in der Schule aufgehängt – QR-Codes führen zu weiteren Informationen, Musikstücken und eingesprochenen Gedichten. Die Gedenkveranstaltung begleitet die Schulband unter Leitung von Christoph Hinxlange im Rathaus-Innenhof Gespielt wird die zeitlose Friedenshymne „Imagine von John Lennon.
Out of the Box am Gymnasium Wolbeck
Das Gymnasium Wolbeck hat Kunst verpackt. Unter dem Motto „Out of the Box“ haben Schülerinnen und Schüler 14 Boxen gestaltet, um das Unfassbare des Holocaust fassbarer zu machen. Unter Anleitung ihrer Lehrer Christian Kappes und Iris Schmakeit-Bean haben die Q2-Schülerinnen und -Schüler sich mit Künstlern, Lagerkunst, Opfern und Überlebenden auseinandergesetzt. Dabei lassen sich die Boxen nicht nur analog anschauen. Über einen QR-Code geht es raus – in den digitalen Raum, wo Musik präsentiert wird oder ein audiovisueller Poetry-Slam dazu einlädt, sich mit dem Holocaust ganz anders auseinanderzusetzen.
Eine Gruppe hat sich zum Beispiel mit Karl Leisner beschäftigt. Der Kirchenmann aus dem Münsterland war von der Gestapo wegen seiner Kritik an Hitler verhaftet worden. Er verstarb an den Folgen seiner KZ-Haft kurz nach seiner Befreiung aus dem Lager in Dachau. Die Schülerinnen und Schüler wollte herausfinden, ab wann Jugendliche ein Bild von Leisner mit dem Holocaust und der Verfolgung von Andersdenkenden in Verbindung bringen konnten. Dafür zeigten sie das Bild in der Schülerschaft verschiedenen Jahrgangsstufen als Impuls und sammelten ihre Antworten.
Lesung mit Daniel Huhn am Pascal-Gymnasium
Das Pascal-Gymnasium veranstaltet am 9. Februar eine Autorenlesung. Zu Gast ist der Historiker und Dokumentarfilmer aus Münster, Daniel Huhn. Er bringt sein Buch „Rückeroberung“ mit. Das erzählt die wahre Geschichte von Manfred Gans und seiner unglaublichen Reise. Der gebürtige Borkener war als Kind einer jüdischen Familie 1938 nach England geschickt worden. Im Mai 1945 durchquert er Deutschland, um seine Eltern aus dem KZ zu befreien. Eine emotionale Geschichte.
Die Lesung ist für die Schülerinnen und Schüler der Q2 sowie einigen Interessierten gedacht. Im Anschluss an die Lesung findet eine Gesprächsrunde mit dem Autor in der Aula statt. Am Freitag erklingt bei der offiziellen Feierstunde die Peace-Bell des Pascal-Gymnasiums. Die Friedensglocke #Peace Bell besitzt die Schule seit vier Jahren. Damals hat die Schulgemeinde sie von Sänger und Friedensaktivist Michael Patrick Kelly erworben. Gefertigt wurde die besondere Glocke aus alten Waffen und soll heute für den Frieden läuten.
Tommy-Projekt am Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium
Sehr emotional ist das, was die Klasse 8d des Annette-Gymnasiums erlebt hat. Die Schülerinnen und Schüler haben mit ihren Lehrerinnen Julia Götz (Klassenleitung) und Sabrina Hamidi (Geschichtslehrerin) sowie Lehramtsanwärter Philipp Marstall einen Projekttag zur Familie Fritta umgesetzt. Tommy und seine Eltern wurden ins KZ deportiert. Überlebt hat nur der kleine Tommy die Nazi-Zeit – und ein Bilderbuch mit vielen Bildern, die sein Vater für ihn in Theresienstadt gemalt hat. Bereits in Klassen 7 haben die Schülerinnen und Schüler sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Im Deutschunterricht haben sie das Jugendbuch „Wunder“ von R. J. Palacio gelesen. Die Hauptfigur August wird von einem Mitschüler schikaniert, weil er anders als andere ist.
Die Jugendlichen stellen sich die Frage, warum der das macht. Ein Mädchen der Klasse las Band 2 - und stellte die Inhalte den Mitschülern vor. So erfuhren die Jugendlichen, dass der Großvater des Mobbenden wegen seiner körperlichen Behinderungen dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten zum Opfer fiel. Die Klasse wollte mehr und mehr über die Nazi-Zeit erfahren. So kam Geschichtslehrerin Sabrina Hamidi mit ins Boot. Gemeinsam schaute die Klasse einen Film über Erna de Vries. „Der Film war unglaublich kraftvoll und traurig zugleich“, fasst Ronja zusammen.
Und dann haben die Annette-Schüler sich entschlossen, mitzuhelfen, dass kein Opfer vergessen wird. Sie haben für das sogenannte Arolsen-Archiv mit der weltgrößten Sammlung von Karteikarten der Verfolgten des Nationalsozialismus Archiv-Arbeit geleistet. 600 Karteikarten haben die Schülerinnen und Schüler erfasst und ermöglicht, dass Angehörige nach ihren in der NZ-Zeit verschollenen Verwandten suchen können.
Podcast-AG macht Interviews: Gesamtschule Münster-Mitte
Auf dem Schulhof der Gesamtschule Münster-Mitte gibt es Stolpersteine. Die Kurzbiografien der Personen wurden für den Gedenktag von Schülerinnen und Schülern vorgelesen und aufgenommen. Diese Tonspuren werden am 27. Januar per Lautsprecher zu hören sein.
Die zehnten Klassen absolvieren mehrtägige Projekttage zum Thema „Aus der Geschichte lernen“. Sie fahren nach Bergen-Belsen und nach Esterwegen in die Gedenkstätten und bereiten sich jeweils im Franz-Hitze-Haus – als Kooperation mit der Villa ten Hompel - und zum Teil in der Schule nach und vor. Bei den Schulworkshops unter der Leitung von Hille Reil-Funke geht es auch um den Bezug zur Gegenwart: Gibt es Ausgrenzung und Diskriminierung auch in der Gegenwart? Wo werde ich mit solchen Szenarien konfrontiert und wie verhalte ich mich dazu?
Eine Podcast-AG (Kooperation mit Antenne Münster Bürgerradio ) hat Interviews mit von Rassismus betroffenen jungen Menschen geführt. Die erste Sendung lief am 15.1. auf Antenne Münster, weitere Sendungen über Alltagsrassismus kann man aktuell bei nrwision hören, unter anderem werden zwei junge Frauen interviewt, die über kulturelle Missverständnisse aufklären wollen und mit Vorurteilen konfrontiert sind, wenn es um ihre Glaubenszugehörigkeit geht.
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